Unzuständigkeit der Schlichtungsbehörden

base giuridica

Nome del giudice

Obergericht Schaffhausen

Data

11.03.2005

Sommario

Für Mietzinsstreitigkeiten bei Wohnbaugenossenschaften des Bundespersonals sind nicht die Schlichtungsbehörden zuständig, sondern das Bundesamt für Wohnungswesen. Nachdem die Vermieterin einen Antrag auf Nichteintreten wegen Unzuständigkeit gestellt hatte, musste die Schlichtungsbehörde die Frage der Zuständigkeit von Amtes wegen abklären.

Esposizione dei fatti

Die Vermieterin teilte dem Mieter J.K. mit amtlichem Formular am 5. Januar 2004 eine Nettomietzinserhöhung von Fr. 782.– auf Fr. 817.– mit.
J.K. gelangte am 2. Februar 2004 an die Schlichtungsstelle für Mietsachen mit den Begehren, dass die Mietzinserhöhung als nichtig zu erklären und per 1. Mai 2004 der Mietzins um Fr. 13.– auf Fr. 769.– pro Monat zu reduzieren sei. An der Referentenaudienz vom 9. Juni 2004 unterzeichneten die Parteien einen Vergleich mit einem einseitigen Widerrufsrecht zugunsten der Vermieterin.
Die Vermieterin beantragte mit Schreiben vom 2. Juli 2004, es sei davon Kenntnis zu nehmen, dass sie den Vergleich vom 9. Juni 2004 widerrufe, und es sei auf die Rechtsbegehren der Eingabe vom 2. Februar 2004 zufolge Unzuständigkeit der kantonalen Schlichtungsstelle für Mietsachen nicht einzutreten. Mit Stellungnahme vom 27. Juli 2004 machte J.K. die Feststellung der Zuständigkeit der Schlichtungsstelle geltend.
Mit Beschluss vom 28. Oktober 2004 wies die Schlichtungsstelle die Einrede der Unzuständigkeit ab.
Dagegen rekurrierte die Vermieterin an das Obergericht des Kantons Schaffhausen.

Considerazioni

b)
Umstritten ist die Zuständigkeit der kantonalen Schlichtungsstelle für Mietsachen. Einerseits handelt es sich um die Anfechtung der Mietzinserhöhung i.S.v. Art. 270b des Schweizerischen Obligationenrechts vom 30. März 1911 (OR, SR 220) und andererseits geht es um das Begehren einer Mietzinssenkung während der Mietdauer i.S.v. Art. 270a OR. Die Wohnbaugenossenschaft X ist als Eigentümerin der Liegenschaft Y, die Schweizerische Eidgenossenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaft als deren Gläubigerin der Grundpfandrechte im Jahr 1965 im Grundbuch eingetragen (vgl. Beilagen 1 und 2 mit Grundbuchauszug zur Eingabe der Gesuchsgegnerin vom 31. August 2004). Die Vermieterin ist somit eine Wohnbaugenossenschaft des Bundespersonals, die Wohnraum durch die öffentliche Hand bereitstellte und altrechtlich im Sinn des Bundesbeschlusses vom 7. Oktober 1947 über die Wohnungsfürsorge für Bundespersonal förderte (vgl. Art. 60 des Bundesgesetzes vom 21. März 2003 über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum [Wohnraumförderungsgesetz, WFG, SR 842]). Dass die Vermieterin für den Lifteinbau von der öffentlichen Hand Geld erhielt, macht diese selbst nicht geltend. Fraglich ist, ob für die zu beurteilende Mietzinsstreitigkeit heute die Kantonale Schlichtungsstelle für Mietsachen oder das Bundesamt für Wohnungswesen zuständig ist.

c)
Für Anfechtungen im Geltungsbereich Wohn- und Geschäftsräume ist Art. 253a OR anwendbar. Die Bestimmungen für die Anfechtung missbräuchlicher Mietzinse gelten nicht für Wohnräume, deren Bereitstellung von der öffentlichen Hand gefördert wurde und deren Mietzinse durch eine Behörde kontrolliert werden (Art. 253b Abs. 3 OR). Damit der allgemeine Geltungsbereich von Art. 253a OR eingeschränkt wird, müssen zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Die Bereitstellung der Wohnung muss durch die öffentliche Hand gefördert worden sein und die Mietzinsgestaltung muss einer behördlichen Kontrolle unterliegen (Roger Weber, Basler Kommentar, 3. A., Basel/Genf/München, N. 9 zu Art. 253a/253b OR, S. 1297; Peter Higi, Zürcher Kommentar, Zürich 1996, N 78 zu Art. 253a-253b OR, S. 116).
Art. 253b Abs. 3 OR erscheint als Kompetenznorm. Die Tatsache, dass Art. 2 Abs. 2 der Verordnung vom 9. Mai 1990 über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (SR 221.213.11, VMWG) den Art. 269d Abs. 3 OR für anwendbar erklärt, ändert nichts daran. Sind die tatbeständlichen Voraussetzungen von Art. 253b Abs. 3 OR erfüllt, sind für die (auch sogenannte „missbrauchsrechtlich“ motivierte) Überprüfung der vermieterseitigen Mietzinsgestaltung (inklusive Nebenkostenentschädigung) einzig und ausschliesslich die kontrollierenden Behörden zuständig. Unzuständig sind demgegenüber in diesen Fällen von vornherein – selbst unter dem Titel der sogenannten Herabsetzung i.S. der Art. 270 und 270a OR – die Schlichtungsbehörden und die Zivilgerichte. Nicht erforderlich ist die Verwendung des Formulars i.S. der Art. 269d und 270 Abs. 2 OR . Die Verwendung des Formulars erwiese sich als sachfremd, weil ihr Zweck in den von Art. 253b Abs. 3 OR erfassten Fällen darin bestünde, den Hinweis auf einen Rechtsweg sicherzustellen, der gerade nicht gegeben ist (vgl. Peter Higi, in AJP 1/1999, S. 107f.).

e)
Die Vermieterin ging bis zum 9. Juni 2004 davon aus, für Mietstreitigkeiten sei die kantonale Schlichtungsstelle zuständig (...)

aa)
Im Mietschlichtverfahren stellen Schlichtungsbehörde und Richter den Sachverhalt von Amtes wegen fest und würdigen die Beweise nach freiem Ermessen; die Parteien müssen ihnen alle für die Beurteilung des Streitfalls notwendigen Unterlagen vorlegen (Art. 274d Abs. 3 OR).

bb)
Spätestens an der Referentenaudienz vom 9. Juni 2004 musste die Schlichtungsstelle an ihrer Zuständigkeit für die vorliegende Streitsache zu zweifeln beginnen. Aufgrund der im Mietschlichtverfahren geltenden Untersuchungsmaxime hatte sie dem Sachverhalt und einer allfällig anderen Zuständigkeit nachzugehen, nachdem die Vermieterin den Anwesenden mitgeteilt hatte, dass es „um eine Wohnung des Bundespersonals“ gehe und der Bund „selber Geld in diesen Liegenschaften“ habe. Nichts daran ändert die damalige Auffassung der Vermieterin, dass das Bundesamt für Wohnungswesen erst „zukünftig, d.h. ab 1.6.04“, zuständig sei und jetzt die Zuständigkeit der Schlichtungsstelle nicht bestritten werde. Die Schlichtungsstelle durfte sich weder auf die im amtlichen Formular genannte zivilgerichtliche Anfechtungsmöglichkeit noch auf die vermutete Mietzinsgestaltung der Vermieterin als ihre eigene Herrin oder auf eine erst zukünftige Zuständigkeit des Bundesamtes für Wohnungswesen verlassen. Nachdem die Vermieterin das ihr im Vergleich vom 9. Juni 2004 zugestandene Widerrufsrecht ausgeübt und einen Antrag auf Nichteintreten wegen Unzuständigkeit gestellt hatte, musste die Schlichtungsstelle den eingereichten Beilagen und den Hinweisen auf die gesetzlichen Bestimmungen von Amtes wegen nachgehen. Schon eine kurze Nachfrage ihrerseits beim Bundesamt für Wohnungswesen hätte Klarheit verschafft über die Kontrolle der Mietzinsgestaltung. Der Grundbuchauszug des Grundbuchamts des Kantons Schaffhausen vom 11. Juni 2004 zeigt, dass die Wohnbaugenossenschaft eine Wohnbaugenossenschaft des Bundespersonals ist. Gemäss den gesetzlichen Bestimmungen übernimmt das Bundesamt für Wohnungswesen die administrative Betreuung und Kontrolle von Wohnbaugenossenschaften für Bundespersonal (vgl. Art. 60 des seit 1. Oktober 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 21. März 2003 über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum [Wohnraumförderungsgesetz, WFG, SR 842] i.V.m. Art. 60 der Verordnung über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum vom 26. November 2003, in Kraft seit 1. Februar 2004 [Wohnraumförderungsverordnung; WFV, SR 842.1] und der Verordnung des EVD über Wohnbaugenossenschaften des Bundespersonals vom 19. Mai 2004 [SR 842.18], in Kraft seit 1. Juni 2004). Die Mietvertragsänderung obliegt somit dem Bundesamt für Wohnungswesen und ist der zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen.

cc)
Die beiden Voraussetzungen von Art. 253b Abs. 3 OR – Bereitstellung von der öffentlichen Hand gefördert und behördliche Kontrolle der Mietzinsgestaltung – sind erfüllt (vgl. oben, E. 2c). Die Regeln zur Anfechtung missbräuchlicher Mietzinse i.S.v. Art. 270ff. OR sind damit nicht anwendbar. Die Schlichtungsstelle ist deshalb unzuständig.

f)
Der Rekurs ist somit gutzuheissen; der angefochtene Beschluss der Schlichtungsstelle ist aufzuheben.

Decisione

39/1 - Unzuständigkeit der Schlichtungsbehörden

Ritorno