Mietvertragsänderung während der Sperrfrist
base giuridica
- Art. 271a cpv. 1 lett. e CO
- Art. 269d cpv. 3 CO
Nome del giudice
Bezirksgericht Willisau (LU) (3B4 21 27)
Data
01.06.2023
Sommario
Eine durch den Vermieter ausgesprochene Kündigung ist anfechtbar, wenn sie vor Ablauf von drei Jahren seit Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Verfahrens ausgesprochen wird, in dem der Vermieter mit dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonst wie geeinigt hat. Eine einseitige Änderung des Vertrages durch den Vermieter während der Sperrfrist gemäss Artikel 271a Absatz 1 littera e OR ist unzulässig, wenn dies einer Teilkündigung gleichkommt. Wobei unter Teilkündigung der Entzug objektiv oder subjektiv wesentlicher Teile des Mietobjekts zu verstehen ist.
Esposizione dei fatti
Am 17. Dezember 2020 kündigte die Vermieterschaft (Klägerin) das Vertragsverhältnis mit der Mieterschaft (Beklagten), für das 8 ½ – Zimmer-Chalet über 3 Etagen mit Kellergeschoss und Estrich, Doppelgarage und Garten mit Sitzplatz in X zu einem monatlichen Mietzins von Fr. 2500 (exkl. Nebenkosten), per Ende März 2021. Gegen diese Kündigung gelangte die Beklagte an die Schlichtungsstelle. Das Verfahren wurde am 26. Februar 2021 infolge Vergleichs als erledigt abgeschrieben.
Mit Schreiben vom 17. März 2021 wurde den Beklagten mittels amtlichen Formulars eine einseitige Mietvertragsänderung per 1. Juli 2021 angezeigt, wonach die Doppelgarage und ein Teil der Umgebung – bei gleichzeitiger Reduktion des Mietzinses auf Fr. 2170 – wegfallen sollen.
Nach erfolglosem Einigungsversuch vor der Schlichtungsstelle erhoben die Kläger fristgerecht Klage beim Bezirksgericht Willisau mit den folgenden Rechtsbegehren:
1. Es sei festzustellen, dass die einseitige Vertragsänderung vom 18. März 2021 rechtmässig ist und keine Missbräuchlichkeit des Mietzinses vorliegt.
2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zzgl. Mehrwertsteuer zu Lasten der Beklagten.
Considerazioni
3. Einseitige Mietvertragsänderung
[…]
3.1.1.
Zu den einseitigen Vertragsänderungen werden bspw. die Einschränkung der Benützungsrechte allgemein zugänglicher Flächen (Waschküche, Velokeller), der Entzug der Benutzung von individuell gemieteten Nebenräumen (Estrich, Keller, Garage) oder eines Teils des Gartens gezählt (Urteil des Amtsgerichtes Luzern-Stadt vom 8. Juni 2000 in Mitteilungen zum Mietrecht, Band 35 Nr. 8; Oeschger/Zahradnik, in: Mietrecht für die Praxis, 10. Auflage 2022, S. 500; Rohrer, in: SVIT-Kommentar, Das schweizerische Mietrecht, 4. Auflage 2018, N 69 zu Art. 269d OR). Als unstatthaft wird der Entzug objektiv wesentlicher Teile des Mietobjekts ohne Kündigung des Vertrages betrachtet, weil die Vertragsänderung nicht zu einer unzumutbaren Teilkündigung führen darf und durch Art. 269d Abs. 3 OR eine Änderungskündigung gerade verhindert werden soll (BGE 125 III 231 E. 3a). Art. 269d Abs. 3 OR soll dem Vermieter ermöglichen, Vertragsänderungen zulasten des Mieters anzuzeigen, ohne dass er zu einer Änderungskündigung schreiten muss. Aufgrund dessen ist der Anwendungsbereich von Art. 269d Abs. 3 OR weit zu fassen (BGE 125 III 231 E. 3b; Hulliger/Heinrich, Handkommentar um Schweizer Privatrecht, 3. Auflage 2016, N 8 zu Art. 269d OR). Von der Bestimmung sind grundsätzlich sämtliche Änderungen des Mietvertrages erfasst, die auf irgendeine Weise die Gebrauchsrechte des Mieters schmälern oder durch welche das bisherige Austauschverhältnis der Leistungen von Vermieter und Mieter verändert werden kann. Die Norm steht auch für mittelbar mietzinsrelevante Änderungen zur Verfügung (BGE 125 III 231 E. 3b).
3.1.2.
Ein Vorgehen nach Art. 269d Abs. 3 OR ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung jedoch nur vorgeschrieben, wenn der Vermieter dem Mieter mit der Änderung einen Teil einer Sache entziehen will, die Gegenstand eines einheitlichen Mietvertrages bildet, nicht aber, wenn das zu entziehende Objekt im Rahmen eines separaten, mit dem Hauptvertrag i.S.v. Art. 253a Abs. 1 OR zusammenhängenden Vertrages vermietet worden ist. In diesem Fall genügt die Kündigung der separat vermieteten Sache mit amtlichem Formular (Weber, Basler Kommentar, 7. Auflage 2020, N 11 zu Art. 269d OR m. V.a. BGE 125 III 231 E. 3d f.).
3.1.3.
Art. 269d OR nennt keine Kriterien, welche eine Änderung des Vertrages seitens des Vermieters rechtfertigen oder ausschliessen, soweit es nicht unmittelbar um mietzinsbestimmende Bedingungen geht. Ersetzt die einseitige Vertragsänderung durch den Vermieter i.S.v. Art. 269d Abs. 3 OR die Kündigung des bisherigen Vertrages und die Offerte zum Neuabschluss eines Vertrages mit geänderten Bedingungen, so kommt eine Überprüfung der Änderung als solcher – abgesehen vom Mietzins – insoweit in Betracht, als für den bisherigen Vertrag Kündigungsschutz i.S.v. Art. 271 ff. OR besteht. Das Vorgehen nach Art. 269d OR, das dem Vermieter anstelle der verpönten Änderungskündigung zur Verfügung steht, ermöglicht im Anfechtungsverfahren sowohl die Prüfung, ob ein missbräuchlicher Ertrag für die verbliebene Mietsache resultiert (Art. 270b OR), wie auch die Prüfung, ob die damit ausgesprochene Kündigung des bisherigen Mietvertrages gegen Treu und Glauben verstösst (Art. 273 OR). Erweist sie sich als treuwidrig i.S.v. Art. 271 und 271a OR, so ist die Änderung ungültig. Ist sie dagegen gültig, hat der Mieter im Übrigen wie bei einer ordentlichen Kündigung die Möglichkeit, die Erstreckung des bisherigen Mietvertrages zu beantragen (BGE 125 III 231 E. 3c; Urteil des Mietgerichts des Kantons Zürich ME160003-L vom 12. Juli 2017, in: ZMP 2017 Nr. 8 E. IV.1.2.)
[…]
3.3.4. Anfechtbarkeit der Vertragsänderung nach Art. 271 und 271a OR
3.3.4.1.
Wie bereits erwähnt, ist die Zulässigkeit der einseitigen Vertragsänderung als solche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts aufgrund der Kriterien des Kündigungsschutzes nach Art. 271 und 271a OR zu beurteilen (vgl. E. 3.1.3). Damit ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer einseitigen Vertragsänderung auch die Sperrfrist nach Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziff. 4 OR zu beachten, wonach eine durch den Vermieter ausgesprochene Kündigung anfechtbar ist, wenn sie vor Ablauf von drei Jahren seit Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens ausgesprochen wird, in dem der Vermieter mit dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonstwie geeinigt hat. Voraussetzung ist, dass die einseitige Vertragsänderung während der dreijährigen Sperrfrist nach Abschluss eines Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens erfolgt. Unter Schlichtungsverfahren sind alle Verfahren vor den Schlichtungsbehörden zu verstehen, in denen es aufgrund eines Begehrens einer Partei wenigstens zu einem Schlichtungsversuch der Schlichtungsbehörden kommen soll. Die blosse Existenz eines Schlichtungsverfahrens erfüllt die Vermutungsbasis der Norm allerdings noch nicht. Das Verfahren muss einen Zusammenhang mit dem Mietverhältnis aufweisen (Higi/Bühlmann, Zürcher Kommentar, 5. Auflage 2022, N 293 zu Art. 271a OR). Im Falle einer Einigung vor der Schlichtungsbehörde nimmt die Schlichtungsbehörde einen Vergleich zu Protokoll und lässt die Parteien dieses unterzeichnen, wobei ein Vergleich die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids hat (Art. 208 ZPO). Kommt es zu einem Vergleich vor der Schlichtungsbehörde oder dem Gericht, so kommt die Sperrfrist ohne Rücksicht auf den Umfang des jeweiligen Nachgebens zum Tragen (BGE 130 III 563 E. 2.1; Weber, a.a.O., N 25 zu Art. 271 OR). Davon ausgenommen sind jedoch einerseits Einigungen, die nur eine Bagatelle betreffen – namentlich einen reinen Formmangel – (Higi/Bühlmann, a.a.O., N 293 zu Art. 271a OR) und andererseits die in Art. 271a Abs. 3 OR ausdrücklich genannten Streitigkeiten. Die Vermieterkündigung, die während der dreijährigen Sperrfrist erfolgt, ist unabhängig davon anfechtbar, ob sie tatsächlich missbräuchlich ist (BGE 131 III 33 E. 3.1 f.).
3.3.4.2.
Die durch die Klägerin am 17. Dezember 2020 ausgesprochene Kündigung des vorliegenden Mietverhältnisses wurde von den Beklagten bei der Schlichtungsbehörde Miete und Pacht des Kantons Luzern angefochten. An der Schlichtungsverhandlung vom 26. Februar 2021 einigte man sich darauf, dass die Klägerin auf die Durchsetzung der Kündigung verzichtet. In der Folge wurde das Verfahren als durch Vergleich erledigt abgeschrieben. Das Schlichtungsverfahren ist damit abgeschlossen. Die Mietvertragsänderung, datiert vom 17./18. März 2021, wurde den Beklagten am 22. März 2021 zugestellt und erfolgte somit innerhalb der dreijährigen Sperrfrist nach Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziff. 4 OR, welche durch den Vergleich vor der Schlichtungsbehörde am 26. Februar 2021 ausgelöst wurde. Vorliegend sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf einen Bagatellfall oder einen Ausnahmetatbestand von Art. 271a Abs. 3 OR schliessen lassen. Solche werden von der Klägerin im Übrigen auch nicht vorgebracht. Dies hat zur Folge, dass sich die einseitige Vertragsänderung vom 17./18. März 2021 zumindest im Sinne des mietrechtlichen Kündigungsschutzes als anfechtbar erweist und daher aufzuheben ist.
3.3.5 Unzulässige Teilkündigung
[…]
3.3.5.3.
Da Art. 269d Abs. 3 OR an die Stelle des ordentlichen (unteilbaren) Kündigungsrechts tritt und damit dem Vermieter keine weitergehenden Rechte verschaffen kann, als er ohne die Missbrauchsgesetzgebung hätte, darf die Vertragsänderung nicht zu einer unzumutbaren Änderung des Gebrauchsrechts, mithin zu einer unzulässigen Teilkündigung führen (Weber, a.a.O., N 11 zu Art. 269d OR; Hulliger/Heinrich, a.a.O., N 8 zu Art. 269d OR; Oeschger/Zahradnik, a.a.O., S. 501; BGE 125 III 231 E. 3a). Unter Teilkündigung ist der Entzug objektiv oder subjektiv wesentlicher Teile des Mietobjekts zu verstehen (Hulliger/Heinrich, .a.a.O., N 8 zu Art. 269d OR; Oeschger/Zahradnik, a.a.O., S. 501). Ein Entzug wesentlicher Befugnisse oder Benützungsrechte liegt vor, wenn sie für den Entschluss des Mieters zum Vertragsabschluss entscheidend waren, weshalb der Entzug dem Mieter nicht zugemutet werden kann (Rohrer, a.a.O., N 68 zu Art. 269d OR). Dazu gehören z.B. der Entzug eines Zimmers bei einer Vierzimmerwohnung, die Wegnahme von Besucherparkplätzen, auf die ein Geschäftsmieter angewiesen ist, oder die Wegnahme der Rasenfläche einer Gartenwohnung (Hulliger/Heinrich, a.a.O., N 8 zu Art. 269d OR; Oeschger/Zahradnik, a.a.O., S. 501). Eine solche Teilkündigung ist unwirksam, sodass der Vermieter das Mietverhältnis als Ganzes kündigen muss.
3.3.5.4.
Unbestritten ist, dass den Beklagten die gesamte ehemalige Parzelle Nr. Y, in X inkl. Chalet, Doppelgarage und Garten mit Sitzplatz, vermietet wurde […]. Dies wurde auch im Mietvertrag vom 30. Januar 2017 entsprechend festgehalten […]. Weiter ist unbestritten, dass die Fläche der ehemaligen Parzelle Nr. Y des Mietobjekts gemäss Mietvertrag vom 30. Januar 2017 1013 m2 und die Nutzfläche des Chalets 184,2 m2 betragen […]. Daraus resultierte in reine Gartenfläche (ohne Gebäude) von 828,8 m2. Die Klägerin geht von einer Reduktion der Gartenfläche von rund 600 m2 aus […], die Beklagten von 626 m2 […]. Die reine Gartenfläche wird damit um rund 72 % (600 m2./.828,8 m2) bzw. rund 75 % (626 m2./.828,8 m2) reduziert. Zusätzlich entfällt die Doppelgarage. Bei einem Mietobjekt, dessen Gartenfläche rund 4,5-mal so gross ist wie die gesamte Nutzfläche des Wohnhauses, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Umgebung nicht objektiv wesentlich für den Vertragsabschluss war, zumal die Gartenfläche auch unbestrittener massen als solche genutzt wird. Betrachtet man das Mietverhältnis darüber hinaus als Ganzes, so stellt der Entzug der Gartenfläche und der Doppelgarage eine erhebliche Reduktion objektiv wesentlicher Teile des Mietobjekts dar. Dies ist auch schon rein visuell aus den in den Grundbuchplänen eingezeichneten Flächen ersichtlich […]. Entsprechend führt die vorliegende Vertragsänderung zu einer unzulässigen Teilkündigung. Die einseitige Vertragsänderung wäre damit auch aus diesem Grund unwirksam. Es kann somit offenbleiben, ob die mitgeteilte Vertragsänderung auch ein Entzug subjektiv wesentlicher Teile des Mietobjekts darstellt.
3.4.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die einseitige Mietvertragsänderung in die Sperrfrist gemäss Art. 271a Abs. 1 lit. e OR fällt, weshalb sie aufzuheben ist. Selbst wenn die einseitige Mietvertragsänderung nicht anfechtbar wäre, wäre sie im Sinne einer unzulässigen Teilkündigung unwirksam, weshalb die Klage abzuweisen ist.
Decisione
62/8 - Mietvertragsänderung während der Sperrfrist