Ein unterschriebenes Abgabeprotokoll genügt nicht, um sich für Schäden haftbar zu machen

base giuridica

Nome del giudice

Richteramt Solothurn-Lebern (SO) (SLZPR.2020.629)

Data

02.03.2021

Sommario

Protokollformulare, die unmittelbar nach den Spalten für die Auflistung der Mängel und vor dem Unterschriftsteil die oft kleingedruckte und nicht näher bezeichnete Erklärung enthalten, dass der Mieter die Haftung für die aufgelisteten Mängel anerkennt und sich verpflichtet, die Reparaturkosten zu übernehmen, sind unzulässig. Zudem hat der Vermieter allfällige Mängel nach Rückgabe des Mietobjekts innert einer kurzen Frist von zwei bis drei Werktagen zu rügen. Versäumt der Vermieter seine Prüfungs- oder Rügeobliegenheit, verwirkt er seine Ansprüche gegenüber dem Mieter.

Esposizione dei fatti

Gemäss dem Mietvertrag vom 1. Dezember 2017 war der Beklagte Mieter der 3-Zimmer-Wohnung in G. Am 28. Januar 2019 kündigte die Vermieterschaft (Kläger) das Mietverhältnis form- und fristgerecht per 30. April 2019. Mit Schreiben vom 31. Januar 2019 kündigte die Mieterschaft das Mietverhältnis ebenfalls per Ende April 2019. Auf Wunsch der Mieterschaft erfolgte die Übergabe der Wohnung am 2. Juni 2019 unter Ausfertigung eines Protokolls.
Neben der Mieterschaft war auch die Vermieterschaft sowei ein Vertreter "X" für die Vermieterschaft anwesend. Mit E-Mail vom 4. Juni 2019 übermittelte X der Mieterschaft das Protokoll einschliesslich Zustandsfotos. Mit Schreiben vom 5. Juli 2019 liess X im Namen der Vermieterschaft der Mieterschaft eine Schlussabrechnung zukommen, bezog sich auf die Wohnungsabnahmebestätigung vom 2. Juni 2019 und forderte die Bezahlung von insgesamt CHF 4563.55.
Am 22. August 2019 stellte X der Mieterschaft im Auftrag der Vermieterschaft eine Mahnung und Betreibungsandrohung für CHF 4563.55 zu. Am 6. September 2019 stellte das Betreibungsamt einen Zahlungsbefehl über CHF 4563.55 zuzüglich Zins zu 5 % seit 6. August 2019 gegen die Mieterschaft aus. Die Mieterschaft erhob fristgerecht Rechtsvorschlag.
Am 13. März 2020 leitete die Vermieterschaft das Schlichtungsverfahren ein. Am 10. Juni 2020 fand die Schlichtungsverhandlung vor der Schlichtungsbehörde statt. Diese erteilte der Vermieterschaft die Klagebewilligung.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2020 reichte die Vermieterschaft eine Klage mit folgenden Rechtsbegehren ein:
1. Die Mieterschaft sei verpflichtet der Vermieterschaft einen Betrag von CHF 4563.55 zu bezahlen.
2. Der in der Betreibung erhobene Rechtsvorschlag sei aufzuheben.
3. Gerichts- und Entschädigungskosten gehen zu Lasten der Mieterschaft.

Die Vermieterschaft macht geltend, die Mieterschaft habe bei der Rückgabe der Wohnung ein Abgabeprotokoll unterschrieben. Daher habe die Mieterschaft für die Mängel, die festgehalten worden sind, aufzukommen.
Die Mieterschaft macht geltend, dass sie eine Versicherung habe. Eine Auflistung werde von der Versicherung nicht akzeptiert. Einige der Mängel hätten schon beim Einzug bestanden, andere seien nicht erwiesen bzw. würden mit der ordnungsgemässen Benutzung des Mietobjekts zusammenhängen. Es sei daher kein Schadenersatz geschuldet.

Considerazioni

15. Der Mieter hat die Möglichkeit, bei Beendigung des Mietverhältnisses und in Kenntnis der Sachlage mit dem Vermieter eine Schadensliquidationsvereinbarung zu treffen, ohne dass der entstandene Schaden richterlich oder gutachterlich festzusetzen wäre. Eine solche Regelung kann auch Inhalt eines Rückgabeprotokolls sein (SVIT-Komm.-Müller, Art. 267–267a N 53; ZK-Higi, N 135). Unzulässig sind indessen die in der Praxis immer noch recht häufigen Protokollformulare, die unmittelbar nach den Spalten für die Auflistung von Mängeln und noch vor der Unterschriftenrubrik die oft kleingedruckte und unspezifizierte Erklärung enthalten, der Mieter anerkenne die Haftpflicht für die aufgelisteten Mängel und verpflichte sich zur Bezahlung der Reparaturkosten. Nicht zu beanstanden sind Protokollformulare, die unmittelbar nach der Mängelliste eine Unterschriftenrubrik und darunter eine deutlich gekennzeichnete und separat zu unterzeichnende, vorformulierte Entschädigungsvereinbarung enthalten (BSK OR I-Weber, Art. 267 N 8).

16. Soweit keine entsprechende Schadensliquidationsvereinbarung besteht, hat der Vermieter allfällige Mängel nach Rückgabe des Mietobjekts innert einer kurzen Frist von zwei bis drei Werktagen zu rügen. Versäumt der Vermieter seine Prüfungs- oder Rügeobliegenheit, verwirkt er seine Ansprüche gegenüber dem Mieter (KUKO OR-Blumer, Art. 267/267 OR N 14).

17. Der Vermieter hat ausserdem zu beweisen, dass ein Mangel vom Mieter zu verantworten ist. Gemäss Art. 8 ZGB obliegt ihm dabei die Beweislast insbesondere für das vertragswidrige Verhalten des Mieters sowie für den (natürlichen) Kausalzusammenhang zum Mangel (BSK OR I-Weber, Art. 259a N 3-4). Dem Mieter steht der Exkulpationsbeweis gemäss Art. 97 OR zu. Er haftet nicht für Zufall oder höhere Gewalt. Bewusst nicht mehr im Gesetz enthalten ist die altrechtliche Vermutung, der Mieter habe die Sache in gutem Zustand übernommen (Art. 271 Abs. 3 aOR). Es geht daher nicht an, die Vermutung mittels ausdehnender Interpretation von Art. 257g OR oder gar einer gegen zwingendes Recht verstossenden Klausel im Vertrag zu restaurieren. Für die schädigende Handlung während der Mietdauer ist ein Rückgabeprotokoll für sich allein nicht aussagekräftig, vielmehr erst der Vergleich mit dem (vom Gesetz nicht erwähnten) Antrittsprotokoll; selbst hier bleibt allerdings der Einwand möglich, eines der Protokolle sei falsch. Im Gegensatz zum alten Recht ist daher nicht mehr der Mieter, sondern der Vermieter an der lückenlosen Protokollierung interessiert. Eine Ausdehnung der Haftung des Mieters ergibt sich aus Art. 259 OR, wonach dieser kleine Reinigungen und Ausbesserungen während der Mietdauer auf eigene Kosten vorzunehmen hat (BSK OR I-Weber, Art. 267 N. 3e-8).

18. Das Gesetz definiert den geschuldeten Zustand des Mietobjektes bei der Rückgabe anhand des Gebrauchsrechts des Mieters. Art. 256 OR auferlegt grundsätzlich für alle Arten von Mietsachen – bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen gar in zwingender Weise – die Instandhaltungsverpflichtung dem Vermieter. Konsequenterweise haftet der Mieter nicht für die sich aus der vertragsgemässen Benützung ergebende Abnützung der Sache, denn dafür erhält der Vermieter den Mietzins. Der Zustand der Sache bei Mietbeginn kann höchstens noch insoweit als massgeblicher Rückgabezustand betrachtet werden, als nicht die normale Abnützung der Sache zur Debatte steht, sondern deren Reinigung und Pflege (Bsp.: Garten). Nagellöcher, Bildumrisse, Farbveränderungen, abgefahrene Reifen u.ä. führen somit nicht zu einem Ersatzanspruch des Vermieters. Andererseits haftet der Mieter für Schäden aus vertragswidrigen oder unsorgfältigen Handlungen. Die Praxis verwendet Tabellen für die gewöhnliche (durchschnittliche) Lebensdauer der Einrichtungsgegenstände. Seit einiger Zeit existiert eine paritätische Lebensdauertabelle, die vom Hauseigentümer- und vom Mieterverband gemeinsam entwickelt wurde und daher als verlässlich zu betrachten ist (nachfolgend Lebensdauertabelle, zu finden u.a. auf letzter Abruf: 18. März 2021). Ergibt sich bei Beendigung des Mietverhältnisses eine erhöhte Abnützung, so hat der Mieter verhältnismässig für die übermässige Abnützung Ersatz zu leisten; die obere Grenze der Haftung bildet daher bei Ersatzanschaffungen der Zustandswert der Sache. Reparaturkosten hat der Mieter grundsätzlich voll zu tragen; auch hier bildet der Zustandswert des reparierten Objekts aber die Obergrenze der Ersatzpflicht. Der Mieter hat für versäumte Arbeiten im Sinne von Art. 259 OR und für eine übermässige Abnützung der Mietsache einzustehen. Der Anspruch des Vermieters geht auf Realerfüllung (Arbeiten nach Art. 259 OR) oder Schadenersatz (Behebungskosten). Bei übermässiger Abnützung berechnet sich der Schaden mit einem an der verkürzten «Lebensdauer» bemessenen Anteil an den Instandstellungskosten. Der Ersatzanspruch des Vermieters entfällt, wenn er die Mietsache ohnehin umfassend erneuert hätte (kein Mehraufwand als Schaden; vgl. zum Ganzen: KUKO OR-Blumer, Art. 267/267 OR N 10 m.w.H.)

19. Vorliegend ist ein Formular für die Wohnungsrückgabe verwendet worden. Unmittelbar oberhalb der Unterschriften sind die Ziffern der mangelhaften Objekte nochmal handschriftlich aufgeführt worden. Gleichzeitig wurden diverse Pauschalbeträge für die Mängelbehebung vereinbart. Offenbar ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Posten erfolgt. Soweit für einzelne Mängel eine Entschädigung bereits festgelegt wurde, ist daher von einer Schadensliquidationsvereinbarung auszugehen.

20. Die übrigen im Protokoll erwähnten Schäden wurden rechtzeitig gerügt: Die Wohnungsrückgabe hat am 2. Juni 2019 stattgefunden. Anlässlich der Rückgabe wurden im detaillierten Protokoll die Schäden festgehalten. Die «Schlussabrechnung» über die geltend gemachten Schäden datiert vom 5. Juli 2019. Soweit dort weitere Schäden geltend gemacht würden, wären diese verspätet gerügt.

21. Ob die vom Vermieter geforderten Entschädigungen gerechtfertigt sind, ist nachfolgend anhand der Schlussabrechnung vom 5. Juli 2019 sowie des Rückgabeprotokolls vom 2. Juni 2016 für die einzelnen Posten gesondert zu prüfen:

[…]

Backofen Scheibe verkratzt
Diesbezüglich wurde im Rückgabeprotokoll eine pauschale Entschädigung von CHF 150.00 vereinbart. Darauf ist abzustellen.

Kühlschrank Flaschenhalter ersetzen
Der Mieterschaft hat anlässlich der Parteibefragung eingestanden, der Plastikeinsatz im Kühlschrank sei abgebrochen. Diesen Mangel hätte er als Mieter im Rahmen des «kleinen Unterhalts» beheben müssen. Er hat damit für den Ersatz aufzukommen. Entsprechende Ersatzteile sind im Internet ab ca. CHF 50.00 erhältlich (z.B. www.shop.electrolux.ch, zuletzt besucht 2. März 2021). Der Beklagte hat in diesem Umfang Schadenersatz zu leisten.

Dampfabzug Lampe ersetzen
Der Beklagte hat anlässlich der Parteibefragung eingestanden, die Lampenbirne sei kaputt gewesen. Diesen Mangel hätte er als Mieter im Rahmen des «kleinen Unterhalts» beheben müssen. Er hat damit für den Ersatz aufzukommen. Entsprechende Lampenbirnen sind für ca. CHF 10.00 erhältlich. Der Beklagte hat in diesem Umfang Schadenersatz zu leisten.

Wohnungsreinigung
Diesbezüglich wurde im Rückgabeprotokoll eine pauschale Entschädigung von CHF 500.00 vereinbart. Darauf ist abzustellen.

[…]

Türschlüssel ersetzen (Bad und Zimmer)
Der Beklagte macht im Rahmen der Parteibefragung geltend, er habe diese Schlüssel bei der Übernahme der Wohnung nie erhalten, könne dies aber nicht beweisen. Bei der Übernahme hätten einige Schlüssel gefehlt. Die Kläger weisen nicht mittels Übernahmeprotokoll nach, dass dem Beklagten diese Schlüssel ausgehändigt worden sind. Der Beklagte schuldet damit diesbezüglich keinen Ersatz.

[…]

Haus-/Wohnungsschlüssel ersetzen inkl. Zylinder
Der Beklagte gesteht im Rahmen der Parteibefragung ein, diesen Schlüssel verloren zu haben. Da das Schloss kurz vor dem Verlust des Schlüssels erneuert worden war, ist keine Reduktion des Schadenersatzes aufgrund der Lebensdauer vorzunehmen. Der Beklagte hat vollen Schadenersatz zu leisten. Diesbezüglich ist auf die Offerte von Schlüssel T. vom 6. Juni 2019 abzustellen. Ob die Arbeiten tatsächlich (bereits) ausgeführt worden sind, ist unerheblich. Der Beklagte hat daher Ersatz im Umfang von CHF 1015.30 zu leisten.

[…]

WC-Spülkasten instand stellen
Diesen Schaden gesteht der Beklagte zwar in der Parteibefragung nicht direkt ein, jedoch ist er auf den von den Klägern eingereichten Fotos klar ersichtlich. Gemäss Lebensdauertabelle beträgt der Richtpreis für den Ersatz eines Spülkastens CHF 400.00, womit der geltend gemachte Betrag von CHF 300.00 zuzusprechen ist.

[…]

Verschiebung Abgabetermin
Die Kläger machen pauschale Kosten von CHF 300.00 geltend für die Verschiebung des Abgabetermins. Indes ist nicht ersichtlich, auf welche Rechtsgrundlage sie sich diesbezüglich stützen. Eine entsprechende Entschädigung ist daher nicht geschuldet.

[…]

Demnach wird erkannt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern Schadenersatz aus dem Mietverhältnis […] im Betrag von CHF 3075.30 zu bezahlen. Darüber hinausgehend wird das Rechtsbegehren abgewiesen.

Decisione

62/7 - Ein unterschriebenes Abgabeprotokoll genügt nicht, um sich für Schäden haftbar zu machen

Ritorno