Voraussetzungen für den Rechtsschutz in klaren Fällen

Base légale

Nom du tribunal

Kantonsgericht St. Gallen [BS.2015.10-EZO3]; durch Urteil 4A_2/2016 vom 18. Februar 2016 vom BGer bestätigt

Date

09.11.2015

Résumé

Gegenstand des Entscheids war die Frage, ob zwischen den Parteien ein Mietvertrag über einen Gastronomiebetrieb und eine Wirtewohnung in derselben Liegenschaft zustande gekommen ist. Das Gericht verneinte sowohl das Vorliegen einer klaren Sach- als auch dasjenige einer klaren Rechtslage.

Exposé des faits

Die Eheleute A. (Ehemann) und B. (Ehefrau) verhandelten im Sommer 2015 mit einer in Gründung begriffenen GmbH, vertreten durch C., welche interessiert war, einen Gastronomiebetrieb und eine Wirtewohnung in derselben Liegenschaft zu mieten. Von Seiten der Mieterschaft unterzeichnete C. am 12. Juni 2015 einen Vertrag, der den monatlichen Bruttomietzins auf Fr. 2800.– und den Mietbeginn auf den 1. September 2015 festlegte. Die Ehegattin B. unterschrieb den Vertrag für die Vermieter am 7. Juli 2015, wobei der monatliche Bruttomietzins auf Fr. 3400.– angehoben wurde, und vermerkte unmittelbar unter ihrer Unterschrift: ʺDies ist ein Vorvertrag gültig bis 7.8.015 [recte 2015] Veränderungen beidseitig vorbehaltenʺ. Der Rechtsvertreter von C. teilte den Eheleuten A. und B. am 5. August 2015 mit, dass er ʺam Vorvertrag festhält und damit darauf besteht, den Mietvertrag mit Ihnen zu schliessenʺ.
Mit Eingabe vom 12. August 2015 wandte sich C. an das Kreisgericht und ersuchte im Wesentlichen um Feststellung des Zustandekommens des Mietvertrags. Nach Einholung der Stellungnahme der Gegenseite gewährte das Kreisgericht Rechtsschutz gemäss Art. 257 Abs. 1 ZPO, stellte das Zustandekommen des Mietvertrags fest und verpflichtete die Eheleute A. und B., C. ab 1. September 2015 uneingeschränkten Zugang zu den Mieträumlichkeiten zu verschaffen. Gegen den Entscheid des Kreisgerichts erhoben die Eheleute A. und B. am 1. Oktober 2015 Berufung ans Kantonsgericht.

Considérations

III.
1.    Die Vorinstanz stellte das Zustandekommen eines Mietvertrages fest, wofür der ins Recht gelegte Vorvertrag vom 12. Juni / 7. Juli 2015 massgebend sei. Von daher sei die Sach- und Rechtslage klar im Sinne von Art. 257 ZPO. Die Gesuchsgegner (Eheleute A. und B.) halten dem entgegen, zwischen den Parteien liege ein tatsächlicher Konsens weder im Hinblick auf den Abschluss eines Hauptvertrags noch eines Vorvertrags vor. Ob trotzdem eine Vereinbarung geschlossen worden sei, müsse durch Auslegung nach dem Vertrauensprinzip erfolgen, was indessen nicht im Verfahren des Rechtsschutzes in klaren Fällen zu überprüfen sei. Aufgrund des richterlichen Ermessensspielraums liege keine klare Rechtslage vor, und der Sachverhalt bedürfe einer Überprüfung im ordentlichen Verfahren. Der Gesuchsteller (C.) stellt sich dem gegenüber auf den Standpunkt, der Mietvertrag sei formlos abgeschlossen worden, während der Nachholung der Fixierung des Vertrags nur Ordnungsfunktion zukomme. Die Auslegung des vorliegenden Vertrages lasse weder einen Beurteilungsspielraum noch einen Ermessensspielraum offen.

a)    Gemäss Art. 257 Abs. 1 ZPO gewährt das Gericht Rechtsschutz im summarischen Verfahren unter der Voraussetzung, dass der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar und die Rechtslage klar ist. Ein rascher Rechtsschutz im summarischen Verfahren mit voller materieller Rechtskraftwirkung ist immer dann möglich, wenn die beiden Voraussetzungen der liquiden tatsächlichen Verhältnisse und der klaren Rechtslage gegeben sind. Es handelt sich um ein abgekürztes Erkenntnisverfahren zur Beurteilung beliebiger Ansprüche ohne Begrenzung des Streitwerts. Damit kann eine Partei in einem einfachen und kurzen Verfahren einen vollstreckbaren Entscheid herbeiführen, statt in einem ordentlichen Prozess das gleiche Ziel zu verfolgen. Wesentlich ist, dass der Fall weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Probleme aufwirft. Die Beweisstrenge ist gegenüber einem Verfahren vor dem ordentlichen Richter in keiner Weise herabgesetzt, hingegen sind zeitraubende Beweisabnahmen ausgeschlossen (LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, N 11.179; vgl. auch BSK ZPO-HOFMANN, Art. 257 N 2; KUKO ZPO-JENT-SØRENSEN, Art. 257 N 1; GÖKSU, DIKE- Komm-ZPO, Art. 257 N 1; BBI 2006 7351, Ziff. 5.18 zu Art. 253 R-ZPO).

b)    Ein klarer Fall setzt demnach zunächst voraus, dass der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar ist. Eine klare Rechtslage im Sinne von Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO liegt vor, wenn die Rechtsanwendung zu einem eindeutigen Ergebnis führt. Dies trifft in der Regel nicht zu, wenn die Anwendung einer Norm einen Ermessens- oder Billigkeitsentscheid erfordert (BGE 138 III 123 E. 2.1.1 und 2.1.2). Der Rechtsschutz in klaren Fällen nach Art. 257 ZPO erlaubt es der klagenden Partei, bei eindeutiger Sach- und Rechtslage rasch, d.h. ohne einlässlichen Prozess im ordentlichen Verfahren, zu einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid zu kommen. Bei Gewährung des Rechtsschutzes ergeht mithin ein definitives, der materiellen Rechtskraft fähiges Urteil, das einer neuen Beurteilung der Sache wegen der res iudicata-Wirkung entgegensteht. Mit Blick auf diese Wirkung ist vom Kläger mit der einhelligen Lehre zu verlangen, dass er sofort den vollen Beweis für die anspruchsbegründenden Tatsachen erbringt, so dass klare Verhältnisse herrschen. Dies allein ist der relevante gesetzliche Massstab und nicht, ob der Beklagte seine Einwendungen glaubhaft gemacht hat oder nicht. Demnach muss es für die Verneinung eines klaren Falles genügen, dass der Beklagte substantiiert und schlüssig Einwendungen vorträgt, die in tatsächlicher Hinsicht nicht sofort widerlegt werden können und die geeignet sind, die bereits gebildete richterliche Überzeugung zu erschüttern. Dem gegenüber ist ein klarer Fall zu bejahen, wenn das Gericht aufgrund der Aktenlage zur Überzeugung gelangt, der Anspruch des Klägers sei ausgewiesen und eine eingehende Abklärung der beklagtischen Einwände könne daran nichts mehr ändern. Somit kann denn auch vom Beklagten nicht gefordert werden, dass er seine Einwendungen wie bei der provisorischen Rechtsöffnung nach Art. 82 Abs. 2 SchKG glaubhaft macht. Damit würde die Eigenart des Rechtsschutzes in klaren Fällen nach Art. 257 ZPO verkannt, die es dem Kläger gestattet, rasch zu einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid zu kommen. Nach der Regel von Art. 8 ZGB trüge der Beklagte, der Einreden oder Einwendungen vorbringt, dafür an sich die Beweislast. Im Verfahren nach Art. 257 ZPO ist es ihm aber unter Umständen nicht möglich, seine Einwände unter den darin geltenden Beweismittelbeschränkungen bzw. mit sofort verfügbaren Beweismitteln glaubhaft zu machen, während ihm der Beweis in einem einlässlichen ordentlichen Verfahren gelingen könnte. Würde ungeachtet substantiiert und schlüssig vorgetragener, erheblicher Einwände ein klarer Fall bejaht und im Verfahren nach Art. 257 ZPO ein rechtskräftiger Entscheid zu Ungunsten des Beklagten gefällt, blieben dessen Einreden für immer unberücksichtigt, ohne dass er jemals zum ordentlichen Beweis derselben zugelassen würde. Diese Situation ist mit derjenigen im Rechtsöffnungsverfahren nicht vergleichbar, in dessen Rahmen auch bei Gutheissung des Rechtsöffnungsentscheids kein rechtskräftiger Entscheid über den erhobenen Anspruch ergeht, sondern einzig entschieden wird, dass die Betreibung – unter Vorbehalt einer Aberkennungsklage – weitergeführt werden kann. In der Aberkennungsklage, auf die hin erst ein rechtskräftiges Urteil ergeht, kann sich der Schuldner nachträglich mit allen Mitteln gegen die Forderung zur Wehr setzen, mithin seine Einwendungen, die er im Rechtsöffnungsverfahren nicht glaubhaft machen konnte, noch beweisen. Dies ist dem im Verfahren nach Art. 257 ZPO unterlegenen Beklagten verwehrt (BGer 4A_273/2012 E. 5, mit zahlreichen Hinweisen).

c)    Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, dass der von den Parteien am 12. Juni bzw. 7. Juli 2015 geschlossenen Vertrag sämtliche wesentlichen Elemente eines Mietvertrags enthalte. Mit dem als ʺVorvertragʺ bezeichneten Mietvertrag sei somit bereits der Hauptvertrag abgeschlossen worden. Selbst wenn jedoch keine Identität angenommen würde, läge jedenfalls ein gültiger Vorvertrag vor. Dem Scheinen auch die Gesuchsgegner nicht zu widersprechen. Im Lichte der bei parteiidentischen Vertragsverhältnissen geltenden Einstufentheorie des Bundesgerichts (vgl. BSK OR I-ZELLWEGER-GUTKNECHT, Art. 22 N 22) wäre der zwischen den Parteien unterschriftlich besiegelte Vertrag ungeachtet des ganz am Schluss angebrachten Titels ʺVorvertragʺ grundsätzlich gültig und vollstreckbar. Einer näheren Prüfung zu unterziehen ist indessen der Zusatz, wonach der Vorvertrag bis 7. August 2015 gültig sei, und ʺVeränderungen beidseitig vorbehaltenʺ werden.


bb)    Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass die Gültigkeit des Vorvertrags zeitlich bis 7. August 2015 limitiert war. Der Gesuchsteller vertritt die Auffassung, mit seinem Schreiben vom 5. August 2015 an die Gesuchsgegner […] rechtzeitig auf seinen Anspruch auf Abschluss des Mietvertrags gepocht zu haben […]. Die Gesuchsgegner hielten dem entgegen, sie hätten die Verhandlungen mit dem Gesuchsteller abgebrochen und den Vorvertrag nur auf dessen Drängen abgeschlossen, da innert vier Wochen "ein Gastrovertrag ausgearbeitet sein" sollte […]. Fest steht unter diesen Umständen, dass der Gesuchsteller den Mietvertrag am 7. Juli 2015 trotz der von den Gesuchsgegnern gewünschten Erhöhung des Mietzinses, der Mindestvertragsdauer und des Zeitpunkts für die erstmalige Inventaraufnahme (weiterhin) verbindlich abschliessen wollte, während auf Seiten der Gesuchsgegner Vorbehalte bestanden, andernfalls sie am 7. Juli 2015 kaum darauf bestanden hätten, das ursprünglich als "Mietvertrag" betitelte Dokument in einen Vorvertrag umzuwandeln und dessen Gültigkeit zudem zeitlich auf einen Monat zu begrenzen. Unter diesen Umständen jedenfalls bleibt fraglich, ob das Schreiben des Rechtsvertreters des Gesuchstellers vom 5. August 2015 […] ohne Akzept der Gegenseite genügte, um die Gültigkeit des Vorvertrags über den 7. August 2015 hinaus zu verlängern bzw. dem Gesuchsteller über den genannten Zeitpunkt hinaus den Anspruch auf Abschluss des Mietvertrags zu erhalten. Immerhin lässt sich nämlich nicht zum vornherein ausschliessen, dass die Gesuchsgegner zunächst nur bis zum 7. August 2015 gebunden bleiben wollten, und es für den Abschluss des Haupt- bzw. eben des Mietvertrags einer (nochmaligen) übereinstimmenden gegenseitigen Willensäusserung beider Parteien im Sinne von Art. 1 Abs. 1 OR bedurft hätte. Dies scheint jedenfalls aufgrund des am 7. Juli 2015 angebrachten Zusatzes "Veränderungen beidseitig vorbehalten" zumindest nicht ausgeschlossen. Der von der Gesuchsgegnerin am 7. Juli 2015 handschriftlich auf Seite 22 des Vertrags angebrachte Zusatz lässt sich auch so interpretieren, dass die Parteien über den 7. August 2015 hinaus nur dann gebunden sein sollten, falls dies entsprechend und beidseitig vereinbart würde. Was es damit im Einzelnen auf sich hat, kann vorliegend offenbleiben. Entscheidend ist, dass die Gesuchsgegner Einwendungen erhoben, die nicht zum vornherein als haltlos erscheinen. Offen ist demnach, wie die Parteien die am 7. Juli 2015 auf dem Vertrag am Schluss angebrachten Einschränkungen verstanden bzw. nach Treu und Glauben verstehen durften und welche rechtsverbindlichen Erklärungen sie darüber hinaus allenfalls noch abgaben. Dabei ist es wohl unumgänglich, den Einzelheiten der Vertragsverhandlungen und insbesondere des Vertragsschlusses im Rahmen von Parteibefragungen oder allenfalls Beweisaussagen im Sinne von Art. 191 ff. ZPO auf den Grund zu gehen. Derartige Beweiserhebungen sprengen aber in der Regel den Rahmen eines Verfahrens gemäss Art. 257 ZPO, so dass vorliegend weder von einer klaren Sach- noch von einer klaren Rechtslage ausgegangen werden kann. Die Berufung erweist sich mithin als begründet, weshalb der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Da der Rechtsschutz nicht gewährt werden kann, ist auf das Gesuch vom 12. August 2015 […] nicht einzutreten.

Décision

57/12 - Voraussetzungen für den Rechtsschutz in klaren Fällen

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