Unzuständigkeit der Schlichtungsbehörden
Base légale
- Art. 253b al. 3 CO
- Art. 274d al. 3 CO
- Art. 60 LOG
Nom du tribunal
Obergericht Schaffhausen
Date
11.03.2005
Résumé
Für Mietzinsstreitigkeiten bei Wohnbaugenossenschaften des Bundespersonals sind nicht die Schlichtungsbehörden zuständig, sondern das Bundesamt für Wohnungswesen. Nachdem die Vermieterin einen Antrag auf Nichteintreten wegen Unzuständigkeit gestellt hatte, musste die Schlichtungsbehörde die Frage der Zuständigkeit von Amtes wegen abklären.
Exposé des faits
Die Vermieterin teilte dem Mieter J.K. mit amtlichem Formular am 5.
Januar 2004 eine Nettomietzinserhöhung von Fr. 782.– auf Fr. 817.– mit.
J.K.
gelangte am 2. Februar 2004 an die Schlichtungsstelle für Mietsachen
mit den Begehren, dass die Mietzinserhöhung als nichtig zu erklären und
per 1. Mai 2004 der Mietzins um Fr. 13.– auf Fr. 769.– pro Monat zu
reduzieren sei. An der Referentenaudienz vom 9. Juni 2004
unterzeichneten die Parteien einen Vergleich mit einem einseitigen
Widerrufsrecht zugunsten der Vermieterin.
Die Vermieterin beantragte
mit Schreiben vom 2. Juli 2004, es sei davon Kenntnis zu nehmen, dass
sie den Vergleich vom 9. Juni 2004 widerrufe, und es sei auf die
Rechtsbegehren der Eingabe vom 2. Februar 2004 zufolge Unzuständigkeit
der kantonalen Schlichtungsstelle für Mietsachen nicht einzutreten. Mit
Stellungnahme vom 27. Juli 2004 machte J.K. die Feststellung der
Zuständigkeit der Schlichtungsstelle geltend.
Mit Beschluss vom 28. Oktober 2004 wies die Schlichtungsstelle die Einrede der Unzuständigkeit ab.
Dagegen rekurrierte die Vermieterin an das Obergericht des Kantons Schaffhausen.
Considérations
b)
Umstritten ist die Zuständigkeit der kantonalen Schlichtungsstelle
für Mietsachen. Einerseits handelt es sich um die Anfechtung der
Mietzinserhöhung i.S.v. Art. 270b des Schweizerischen Obligationenrechts
vom 30. März 1911 (OR, SR 220) und andererseits geht es um das Begehren
einer Mietzinssenkung während der Mietdauer i.S.v. Art. 270a OR. Die
Wohnbaugenossenschaft X ist als Eigentümerin der Liegenschaft Y, die
Schweizerische Eidgenossenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaft
als deren Gläubigerin der Grundpfandrechte im Jahr 1965 im Grundbuch
eingetragen (vgl. Beilagen 1 und 2 mit Grundbuchauszug zur Eingabe der
Gesuchsgegnerin vom 31. August 2004). Die Vermieterin ist somit eine
Wohnbaugenossenschaft des Bundespersonals, die Wohnraum durch die
öffentliche Hand bereitstellte und altrechtlich im Sinn des
Bundesbeschlusses vom 7. Oktober 1947 über die Wohnungsfürsorge für
Bundespersonal förderte (vgl. Art. 60 des Bundesgesetzes vom 21. März
2003 über die Förderung von preisgünstigem Wohnraum
[Wohnraumförderungsgesetz, WFG, SR 842]). Dass die Vermieterin für den
Lifteinbau von der öffentlichen Hand Geld erhielt, macht diese selbst
nicht geltend. Fraglich ist, ob für die zu beurteilende
Mietzinsstreitigkeit heute die Kantonale Schlichtungsstelle für
Mietsachen oder das Bundesamt für Wohnungswesen zuständig ist.
c)
Für
Anfechtungen im Geltungsbereich Wohn- und Geschäftsräume ist Art. 253a
OR anwendbar. Die Bestimmungen für die Anfechtung missbräuchlicher
Mietzinse gelten nicht für Wohnräume, deren Bereitstellung von der
öffentlichen Hand gefördert wurde und deren Mietzinse durch eine Behörde
kontrolliert werden (Art. 253b Abs. 3 OR). Damit der allgemeine
Geltungsbereich von Art. 253a OR eingeschränkt wird, müssen zwei
Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Die Bereitstellung der Wohnung
muss durch die öffentliche Hand gefördert worden sein und die
Mietzinsgestaltung muss einer behördlichen Kontrolle unterliegen (Roger
Weber, Basler Kommentar, 3. A., Basel/Genf/München, N. 9 zu Art.
253a/253b OR, S. 1297; Peter Higi, Zürcher Kommentar, Zürich 1996, N 78
zu Art. 253a-253b OR, S. 116).
Art. 253b Abs. 3 OR erscheint als
Kompetenznorm. Die Tatsache, dass Art. 2 Abs. 2 der Verordnung vom 9.
Mai 1990 über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (SR
221.213.11, VMWG) den Art. 269d Abs. 3 OR für anwendbar erklärt, ändert
nichts daran. Sind die tatbeständlichen Voraussetzungen von Art. 253b
Abs. 3 OR erfüllt, sind für die (auch sogenannte „missbrauchsrechtlich“
motivierte) Überprüfung der vermieterseitigen Mietzinsgestaltung
(inklusive Nebenkostenentschädigung) einzig und ausschliesslich die
kontrollierenden Behörden zuständig. Unzuständig sind demgegenüber in
diesen Fällen von vornherein – selbst unter dem Titel der sogenannten
Herabsetzung i.S. der Art. 270 und 270a OR – die Schlichtungsbehörden
und die Zivilgerichte. Nicht erforderlich ist die Verwendung des
Formulars i.S. der Art. 269d und 270 Abs. 2 OR . Die Verwendung des
Formulars erwiese sich als sachfremd, weil ihr Zweck in den von Art.
253b Abs. 3 OR erfassten Fällen darin bestünde, den Hinweis auf einen
Rechtsweg sicherzustellen, der gerade nicht gegeben ist (vgl. Peter
Higi, in AJP 1/1999, S. 107f.).
e)
Die Vermieterin ging bis zum 9. Juni 2004 davon aus, für Mietstreitigkeiten sei die kantonale Schlichtungsstelle zuständig (...)
aa)
Im
Mietschlichtverfahren stellen Schlichtungsbehörde und Richter den
Sachverhalt von Amtes wegen fest und würdigen die Beweise nach freiem
Ermessen; die Parteien müssen ihnen alle für die Beurteilung des
Streitfalls notwendigen Unterlagen vorlegen (Art. 274d Abs. 3 OR).
bb)
Spätestens
an der Referentenaudienz vom 9. Juni 2004 musste die Schlichtungsstelle
an ihrer Zuständigkeit für die vorliegende Streitsache zu zweifeln
beginnen. Aufgrund der im Mietschlichtverfahren geltenden
Untersuchungsmaxime hatte sie dem Sachverhalt und einer allfällig
anderen Zuständigkeit nachzugehen, nachdem die Vermieterin den
Anwesenden mitgeteilt hatte, dass es „um eine Wohnung des
Bundespersonals“ gehe und der Bund „selber Geld in diesen
Liegenschaften“ habe. Nichts daran ändert die damalige Auffassung der
Vermieterin, dass das Bundesamt für Wohnungswesen erst „zukünftig, d.h.
ab 1.6.04“, zuständig sei und jetzt die Zuständigkeit der
Schlichtungsstelle nicht bestritten werde. Die Schlichtungsstelle durfte
sich weder auf die im amtlichen Formular genannte zivilgerichtliche
Anfechtungsmöglichkeit noch auf die vermutete Mietzinsgestaltung der
Vermieterin als ihre eigene Herrin oder auf eine erst zukünftige
Zuständigkeit des Bundesamtes für Wohnungswesen verlassen. Nachdem die
Vermieterin das ihr im Vergleich vom 9. Juni 2004 zugestandene
Widerrufsrecht ausgeübt und einen Antrag auf Nichteintreten wegen
Unzuständigkeit gestellt hatte, musste die Schlichtungsstelle den
eingereichten Beilagen und den Hinweisen auf die gesetzlichen
Bestimmungen von Amtes wegen nachgehen. Schon eine kurze Nachfrage
ihrerseits beim Bundesamt für Wohnungswesen hätte Klarheit verschafft
über die Kontrolle der Mietzinsgestaltung. Der Grundbuchauszug des
Grundbuchamts des Kantons Schaffhausen vom 11. Juni 2004 zeigt, dass die
Wohnbaugenossenschaft eine Wohnbaugenossenschaft des Bundespersonals
ist. Gemäss den gesetzlichen Bestimmungen übernimmt das Bundesamt für
Wohnungswesen die administrative Betreuung und Kontrolle von
Wohnbaugenossenschaften für Bundespersonal (vgl. Art. 60 des seit 1.
Oktober 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 21. März 2003 über
die Förderung von preisgünstigem Wohnraum [Wohnraumförderungsgesetz,
WFG, SR 842] i.V.m. Art. 60 der Verordnung über die Förderung von
preisgünstigem Wohnraum vom 26. November 2003, in Kraft seit 1. Februar
2004 [Wohnraumförderungsverordnung; WFV, SR 842.1] und der Verordnung
des EVD über Wohnbaugenossenschaften des Bundespersonals vom 19. Mai
2004 [SR 842.18], in Kraft seit 1. Juni 2004). Die Mietvertragsänderung
obliegt somit dem Bundesamt für Wohnungswesen und ist der
zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen.
cc)
Die beiden
Voraussetzungen von Art. 253b Abs. 3 OR – Bereitstellung von der
öffentlichen Hand gefördert und behördliche Kontrolle der
Mietzinsgestaltung – sind erfüllt (vgl. oben, E. 2c). Die Regeln zur
Anfechtung missbräuchlicher Mietzinse i.S.v. Art. 270ff. OR sind damit
nicht anwendbar. Die Schlichtungsstelle ist deshalb unzuständig.
f)
Der Rekurs ist somit gutzuheissen; der angefochtene Beschluss der Schlichtungsstelle ist aufzuheben.
Décision
39/1 - Unzuständigkeit der Schlichtungsbehörden