Entscheid des Kantonsgerichts von St. Gallen
08.08.2012
In Frage steht insbesondere, ob und inwiefern sich die Vermieterschaft gegen das Herabsetzungsbegehren der Mieterschaft mit dem Einwand zur Wehr setzen kann, es sei eine Unterhaltskostensteigerung infolge einer umfassenden Überholung eingetreten. Die Frage, ob ausserordentliche Unterhaltsaufwendungen im Rahmen einer umfassenden Überholung, die zu einer dauerhaften Unterhaltskostensteigerung führen, als Kostensteigerung gemäss Artikel 269a OR geltend gemacht werden können, wurde letztlich offen gelassen, weil die Mieter in ihrem Vertrauen auf einen früher geschlossenen Vergleich, der die Mietzinserhöhung aufgrund der umfassenden Überholung regelte, geschützt wurden.
III.
1. a) Verlangt ein Mieter unter Berufung auf Art. 270a Abs. 1
OR eine Mietzinsreduktion wegen einer Änderung der
Berechnungsgrundlagen, so steht dem Vermieter der Einwand zu, es hätten
sich seit der letzten massgebenden Mietzinsfestsetzung mit Bezug auf
andere Faktoren Kostensteigerungen ergeben, die den Reduktionsanspruch
ganz oder teilweise kompensierten (SVIT, Das schweizerische Mietrecht,
Kommentar [SVIT-Kommentar], 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2008, N 19 zu
Art. 270a OR).
Im vorliegenden Fall hält die Beklagte dem
Reduktionsbegehren der Mieter gestützt auf die Senkung des
Hypothekarzinssatzes eine Unterhaltskostensteigerung infolge der
Überwälzung des nicht wertvermehrenden Anteils der Sanierungskosten von
50% entgegen, welche das Ausmass der geltend gemachten Mietzinsreduktion
übertreffe.
b/aa) Gemäss Art. 269a lit. b OR sind Mietzinse nicht missbräuchlich, wenn sie durch Kostensteigerungen oder Mehrleistungen des Vermieters begründet sind. Als Mehrleistungen gelten dabei Investitionen für wertvermehrende Verbesserungen, die Vergrösserung der Mietsache sowie zusätzliche Nebenleistungen, es kann jedoch nur den Teil der Kosten, der den Aufwand zur Wiederherstellung oder Erhaltung des ursprünglichen Zustands übersteigt, als Mehrleistung geltend gemacht werden. Die Kosten umfassender Überholungen gelten in der Regel zu 50-70% als wertvermehrende Investitionen (Art. 14 Abs. 1 und 3 VMWG). Derjenige Teil der Kosten von umfassenden Sanierungen, der auf den Unterhalt entfällt, darf hingegen grundsätzlich nicht auf den Mietzins überwälzt werden. Reiner Unterhalt ist definitionsgemäss nicht wertvermehrend; er dient ausschliesslich dem Werterhalt und ist demgemäss keine Mehrleistung, sondern ist Teil der Hauptpflicht des Vermieters, die in der Erhaltung der Gebrauchstauglichkeit der vermieteten Sache liegt (vgl. Art. 256 Abs. 1 OR). Diese Regel gilt jedoch nicht absolut (LACHAT/BRUTSCHIN, Mietrecht für die Praxis, 8. Auflage, Zürich 2009, S. 384, N 19/5.2.2; BÄTTIG, Die Überwälzung der Kosten von umfassenden Überholungen auf den Mietzins, MRA 1-2/2009, S. 1 ff., S. 14). Auszugehen ist dabei davon, dass das Bundesgericht in BGE 117 II 77 E. 3.c.aa (= Pra 83 Nr. 12; vgl. auch BGE 122 III 257) festhielt, dass Pauschalen für die Amortisation des Gebäudes und Rückstellungen für künftigen Unterhalt nicht zulässig seien. In einem Entscheid vom 24. Januar 2001 (BGer 4C.293/2000 E. 1.b) relativierte das Gericht diese Feststellung dann aber insofern, als es ausführte, die Ansicht, Unterhaltskosten, die im Rahmen von umfassenden Renovationen anfielen, überhaupt nicht in Rechnung stellen zu können, lasse sich nicht mit der Praxis betreffend unzulässige Pauschalen vereinbaren, und erwog, dass die Unterhaltskosten im Rahmen der Mietzinsgestaltung berücksichtigt werden könnten, sobald die Arbeiten ausgeführt und vom Vermieter bezahlt seien. Ausserordentlich hohe Unterhaltskosten seien auf die Lebensdauer der damit finanzierten Einrichtungen zu verteilen; die entsprechenden Teilbeträge könnten jährlich bis zur vollständigen Amortisation in der Unterhaltsrechnung berücksichtigt werden und seien mit 5% auf dem jeweils noch nicht amortisierten Restbetrag zu verzinsen (vgl. zur Berücksichtigung der nicht wertvermehrenden Sanierungskosten als Unterhaltkostensteigerung auch SVIT-Kommentar, a.a.O., N 82 zu Art. 269a OR).
bb) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Rückstellungsverbot
wird in der Lehre kritisiert (vgl. SVIT-Kommentar, a.a.O., N 31 ff. zu
Art. 269 OR, und BÄTTIG, a.a.O., S. 12 f.). Ob diese Kritik berechtigt
ist, kann offen bleiben. Abgesehen davon, dass sich die Beklagte darauf
beruft, das Rückstellungsverbot befolgt zu haben, würde es nämlich, wie
zu zeigen sein wird (nachfolgend E. 2 und 3), nichts daran ändern, dass
sich die Beklagte nicht auf ihren Anspruch auf Überwälzung der aus der
Gesamtsanierung resultierenden Unterhaltskosten berufen kann, weil die
Mieter nicht mit einer solchen Überwälzung rechnen mussten bzw. weil die
Beklagte den Nachweis ihrer Anlagekosten nicht erbringen kann und die
Berufung aus diesen Gründen abzuweisen ist. Immerhin sei an dieser
Stelle festgehalten:
aaa) Die Sanierungsarbeiten fanden in den Jahren
2006 und 2007 statt, die endgültigen Bauabrechnungen, welche
Sanierungskosten von insgesamt Fr. 25 873 986.10 auswiesen, wurden mit
Stichtag 9. Oktober 2008 erstellt, und mit Urteil vom 31. Oktober 2008
legte das Kreisgericht St. Gallen den wertvermehrenden Anteil der Kosten
auf 50% fest. Gemäss der zitierten Rechtsprechung (BGer 4C.293/2000)
hätte die Beklagte daher grundsätzlich Anspruch darauf, den
verbleibenden nicht wertvermehrenden Anteil der Sanierungskosten von Fr.
12 936 993.05 soweit als Unterhaltskosten auf die Mieter zu überwälzen,
als die Kosten zu einer Unterhaltskostensteigerung führen. Die Kosten
wären dabei angesichts ihrer Höhe auf die Lebensdauer der damit
finanzierten Einrichtungen zu verteilen, d.h. die Amortisationsraten
sowie die Verzinsung des Restbetrags könnten ab 2009 jährlich als
Unterhaltskosten berücksichtigt werden. Weil die Berufung (aus andern
Gründen) abzuweisen ist (hierzu nachfolgend E. 2 und 3), kann die
grundsätzliche Überwälzbarkeit offen bleiben. Offen bleiben kann damit
aber auch, ob sich die Beklagte im Sinn der Auffassung der Mieter und
der Vorinstanz entgegen halten müsste, sie habe in der Vergangenheit
(entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung) für umfassende
Sanierungsarbeiten Rückstellungen gebildet und könne daher nun die
Unterhaltskosten nicht mittels Mietzinserhöhung bzw. –nichtherabsetzung
auf die Mieter überwälzen. Ganz abgesehen davon würde der betreffende,
insbesondere in der Eingabe vom 27. April 2012 nochmals ausführlich
substantiierte, allerdings ohnehin nur als Eventualbegründung geltend
gemachte und von der Beklagten in der anschliessenden Stellungnahme vom
14. Mai 2012 aber wiederum bestrittene Einwand der Mieter, die Beklagte
habe in der Vergangenheit missbräuchliche Mietzinse gefordert, indem sie
über die Bestreitung des effektiven Unterhalts hinaus Reserven für den
künftigen Unterhalt gebildet habe, die früheren Mietzinse betreffen und
zur Frage führen, ob, wie die Beklagte einwendet, über die aktuellen
bzw. die künftigen Mietzinse hinaus auch frühere Mietzinse überprüft
werden können (vgl. BGE 124 III 67 E. 3 sowie zur Thematik der
Rückstellungen auch BÄTTIG, a.a.O., S. 13 und S.16).
bbb) Im das Ausmass der Veränderung von Betriebs- und
Unterhaltskosten zu ermitteln und um die Zufälligkeiten anfallender
Unterhaltsarbeiten auszugleichen, ist in quantitativer Hinsicht auf die
durchschnittlichen Aufwendungen der letzten fünf – eventuell mindestens
drei – Jahre abzustellen bzw. ein Vergleich zwischen zwei
Durchschnittswerten anzustellen: Der erste Durchschnittswert erfasst
dabei die vor der letzten Mietzinsanpassung angefallenen Kosten, während
sich der zweite Durchschnittswert auf die Kosten bezieht, die
unmittelbar vor der neuen Mietzinsanpassung aufgelaufen sind (BGer
4C.293/2000 E.1.b; LACHAT/BRUTSCHIN, a.a.O., S. 374, N 19/4.6;
SVIT-Kommentar, a.a.O., N 30 zu Art. 269 OR). Ergibt sich so aus dem
Vergleich der Periode vor der letzten massgebenden Mietzinsfestsetzung –
Anfangsmietzins oder letzte unangefochten gebliebene Mietzinserhöhung
bzw. im Rahmen eines Anfechtungsverfahrens durch Vergleich
einvernehmlich oder durch rechtskräftigen Entscheid festgelegter
Mietzins (vgl. SVIT-Kommentar, a.a.O., N 16 zu Art. 270a OR) – und der
Periode vor der neuen Mietzins- bzw. Mietvertragsanpassung eine
Steigerung der Unterhaltskosten, so darf diese bei der Mietzinsanpassung
grundsätzlich berücksichtigt bzw. mit einem Herabsetzungsanspruch
verrechnet werden.
Das Recht auf die Überwälzung der Unterhaltskosten
scheitert, wie zu zeigen sein wird von Vornherein daran, dass die
Mieter nicht mit der Überwälzung von aus der umfassenden Sanierung
resultierenden Unterhaltskosten rechnen mussten, bzw. am fehlenden
Nachweis der Anlagekosten (hierzu nachfolgend E. 2 und 3). Die
Richtigkeit der Angaben und Berechnungen der Beklagten kann daher offen
bleiben. Immerhin sei festgehalten, dass sich vorbehältlich dieser
Richtigkeit im vorliegenden Fall bei nicht wertvermehrenden
Sanierungskosten von rund 13 Mio. Franken und unter der Annahme einer
durchschnittlichen Lebensdauer der damit finanzierten Einrichtungen von
25 Jahren und eines gemittelten Zinssatzes (Faustregel halber Zinssatz,
vgl. BÄTTIG, a.a.O., S. 16; LACHAT/BRUTSCHIN, a.a.O., S. 375, N 19/4.8)
zusätzlich zu den ordentlichen Unterhalts- und Betriebskosten
hinzukommende Kosten von rund Fr. 845 000.– (Amortisation Fr. 520 000.– +
Verzinsung Fr. 325 000.–) ergäben. Wenn man für die ordentlichen
Unterhalts- und Betriebskosten der vorangehenden Jahre ebenfalls auf die
Angaben der Beklagten abstellen würde, wonach die Kosten in den Jahren
2003 bis 2008 durchschnittlich rund Fr. 412 000. betragen hätten,
würden die zusätzlichen Kosten ab 2009 (bis 2033) zu einer
Verdreifachung der (durchschnittlichen) Unterhalts- und Betriebskosten
führen, weshalb – selbst ohne Periodenvergleich – von einer
Kostensteigerung auszugehen wäre, welche angesichts der
Amortisationsdauer von 25 Jahren entgegen der Auffassung der Vor-
instanz auch als dauerhaft zu qualifizieren wäre.
…
2.b/bb) Zum gleichen Ergebnis gelangt man mit Bezug auf die an
den Vergleichen beteiligten Mieter, wenn man den Verrechnungsanspruch
der Beklagten ausschliesslich aufgrund der Vergleiche beurteilt. Mit der
Vor-instanz und den Mietern durften Letztere (auch) bei dieser
Betrachtungsweise aufgrund der Umstände darauf vertrauen, dass mit
Abschluss der Vergleiche keine weiteren, die Sanierung betreffenden
Kosten auf den Mietzins überwälzt würden. Zur Beurteilung, ob mit den
Vergleichen eine solche Vertrauensbasis geschaffen wurde, ist dabei von
Bedeutung, unter welchen Umständen diese zustande kamen. Dabei spielt
das vorangegangene Verfahren zwischen den gleichen Parteien eine nicht
unwesentliche Rolle, zumal die Vereinbarungen letztlich auf der Basis
des damaligen Entscheids des Kreisgerichts St. Gallen abgeschlossen
wurden. Entgegen der Vorbehalte der Beklagten dürfen ihre Ausführungen
und ihre Argumentation in jenem Verfahren zur Beurteilung des
Vertrauensschutzes durchaus herangezogen werden.
Die Beklagte zeigte
nach der ersten Bauetappe im Jahr 2007 eine erste Mietzinserhöhung an;
überwälzen wollte sie als wertvermehrenden Anteil 60% der
Sanierungskosten. Eine weitere Erhöhung aufgrund von wertvermehrenden
Investitionen war nach Abschluss der zweiten Etappe vorgesehen. Nachdem
bereits die erste Mietzinserhöhung von den Mietern angefochten wurde –
diese waren offenbar der Ansicht, der wertvermehrende Anteile läge
lediglich bei 30% –, legte das Kreisgericht St. Gallen den
wertvermehrenden Anteil der Sanierungskosten für die erste Etappe auf
50% fest. Im Anschluss daran einigten sich die Vermieterin sowie die
(meisten) Mieter auf dieser Basis auch über die zweite Etappe bzw. die
weiteren Mietzinserhöhungen.
Noch nicht einmal die Beklagte behauptet
dabei, es sei im Vorfeld oder während des Verfahrens oder im
Zusammenhang mit den Vergleichsverhandlungen je die Rede davon gewesen,
dass der nicht wertvermehrende Anteil der Sanierungskosten letztlich
ebenfalls auf den Mietzins überwälzt werde. Die Beklagte argumentierte
im Verfahren betreffend den wertvermehrenden Anteil vielmehr
dahingehend, dass sie aufgrund der hohen Investitionen die Möglichkeit
haben sollte, einen möglichst grossen Prozentsatz innerhalb der
Bandbreite von Art. 14 VMWG (50-70%) refinanzieren zu können, und sie
verwies ausdrücklich darauf, dass infolge des Verbots zur Bildung von
Rückstellungen die Kosten für grössere Unterhaltsarbeiten, welche den
durchschnittlichen Unterhaltsaufwand deutlich überstiegen, als
umfassende Überholungen qualifiziert auf dem Weg der Anwendung von Art.
14 VMWG refinanziert werden müssten. Hätte die Überwälzung auch der
nicht wertvermehrenden Sanierungskosten zu diesem Zeitpunkt ein Thema
dargestellt, so wäre die Höhe des wertvermehrenden Anteils gar nicht so
entscheidend gewesen; der nicht wertvermehrende Anteil – ob nun 50% oder
mehr – hätte ja ohnehin später ebenfalls mittels Mietzinserhöhung
aufgrund einer Unterhaltskostensteigerung refinanziert werden können.
Hinzu kommt, dass die Mieter nicht zuletzt auch deshalb nicht mit einer
weiteren Überwälzung von Sanierungskosten rechnen mussten, weil die
Beklagte an den betreffenden Liegenschaften in der Vergangenheit, wie
sie auch selbst darlegte, schon grössere Sanierungsarbeiten hatte
ausführen lassen, ohne über die Pauschale hinaus (vgl. zur Pauschale
SVIT-Kommentar, a.a.O., N. 40 ff. zu Art. 269a OR)
Unterhaltskostensteigerungen geltend zu machen. Vielmehr durften die
Mieter aufgrund der Argumentation und des Verhaltens der Beklagten davon
ausgehen, dass mit den Vergleichen die Überwälzung der Kosten der
umfassenden Sanierungsarbeiten auf den Mietzins definitiv erledigt sei,
zumal diese auch die Sanierungskosten der zweiten Etappe berücksichtigen
– wohl gerade um ein weiteres Gerichtsverfahren betreffend den
wertvermehrenden Anteil derjenigen Kosten zu vermeiden und die Sache
abzuschliessen. Das Verhalten bzw. die Argumentation der Beklagten liess
vor/bei Abschluss der Vergleiche denn auch nie den Eindruck entstehen,
dass noch weitere Mietzinserhöhungen, welche ihre Begründung in der
Sanierung von 2006/2007 hätten, auf die Mieter zukommen würden. Diese
durften deshalb darauf vertrauen, dass die Beklagte nicht kurze Zeit
später den Mietzins um weitere 10%, wiederum aufgrund der umfassenden
Sanierung, dieses Mal zur Überwälzung der nicht wertvermehrenden
Aufwendungen, würde erhöhen können.