Obligatorisches Schlichtungsverfahren

Base légale

Nom du tribunal

Obergericht des Kantons Luzern

Date

14.09.2009

Résumé

Auch beim Ausweisungsverfahren nach einer ordentlichen und unangefochtenen Kündigung besteht eine Schlichtungspflicht nach Artikel 274a OR. Die Gutheissung des Ausweisungsbegehrens ohne vorgängiges Schlichtungsverfahren verletzt Bundesrecht. Nur bei ausserordentlicher Kündigung nach Artikel 274g Absatz 1 Buchstaben a-d OR entfällt der vorgängige Schlichtungsversuch.

Exposé des faits

Die Parteien schlossen am 24. Juni 2005 zwei Mietverträge über eine 4,5-Zimmer Wohnung und eine Einzelgarage mit Parkplatz. Mietbeginn war der 1. Juli 2005. Die Parteien vereinbarten eine dreimonatige Kündigungsfrist mit Kündigungsterminen am 31. März, 30. Juni und 30. September. Am 17. Oktober 2008 kündigten die Kläger form- und fristgerecht beide Mietverträge per 31. März 2009. In einem als „Einverständnis zur Kündigung“ betitelten Brief vom 10. November 2008 an die Kläger akzeptierten die Beklagten die Kündigung. Sie führten aber an, dass sie das Mietverhältnis nach Bedarf erstrecken würden, falls sie bis zum 31. März 2009 keine Wohnung gefunden hätten. An die Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht wandten sie sich hingegen nicht. Mit Gesuch vom 6. März 2009 verlangten die Kläger beim Amtsgerichtspräsidenten, die Ausweisung der Beklagten. Zur Begründung führten sie an, dass die Beklagte 2 ihnen am 3. März telefonisch mitgeteilt habe, sie hätten noch keine geeignete Wohnung gefunden und würden deshalb weiterhin in ihrer Mietwohnung bleiben. Die Beklagten beantragten am 6. April 2009 die Abweisung des Gesuchs. Mit Entscheid vom 30. April 2009 hiess der Amtsgerichtspräsident das Ausweisungsbegehren gut und verpflichtete die Beklagten, die erwähnte Wohnung und die Einzelgarage mit Parkplatz innert zehn Tagen seit Rechtskraft des Entscheids ordnungsgemäss zu räumen und zu verlassen. Gegen diesen Entscheid rekurrierten die Beklagten am 11. Mai 2009 und beantragten die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und die Abweisung des Ausweisungsbegehrens vom 6. März 2009, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Kläger.

Considérations

3. Streitig ist, ob beim Ausweisungsverfahren nach ordentlicher und unangefochtener Kündigung eine Schlichtungspflicht nach Art. 274a OR besteht. Der Amtsgerichtspräsident hat dies unter Hinweis auf das den Kantonen vorbehaltene Verfahrensrecht (Art. 274 OR) verneint. Die Beklagten werfen ihm vor, er habe verkannt, dass das Bundesgericht in BGE 132 III 750 f. für das Ausweisungsverfahren nach ordentlicher und unangefochtener Kündigung grundsätzlich von einem Schlichtungsobligatorium ausgehe.
Nach Art. 274a Abs. 1 lit. b OR ist die Schlichtungsbehörde die umfassende Sühneinstanz für alle Streitigkeiten aus der Miete unbeweglicher Sachen. Bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen leidet jedes Verfahren an einem Mangel, das nicht über die Schlichtungsbehörde eingeleitet wird (Weber, Basler Komm., N 2 zu Art. 274a OR). Der Richter hat von Amtes wegen zu prüfen, ob das Erfordernis eines vorgängigen Schlichtungsverfahrens erfüllt worden ist. (vgl. Entscheide des Bundesgerichts 4C.252/2002 vom 08.11.2002 E. 5.1 und 4C.347/2000 vom 06.04.2001 E. 2a).
Die umfassende Zuständigkeit der Schlichtungsbehörde wurde bereits in BGE 118 II 307 E. 3b/aa und 3b/bb statuiert. Das Bundesgericht hielt sodann in E. 3.3.1 seines Entscheids 4C.17/2004 vom 2. Juni 2004 fest, dass jeder Streitigkeit zwischen Mieter und Vermieter im Sinne des Art. 274f OR zwingend ein Schlichtungsverfahren vorangehen müsse. Ein Verzicht sei nur bei Mietverhältnissen möglich, welche Geschäftsräume betreffen. Die Zuständigkeit der Schlichtungsbehörde müsse weit interpretiert werden (vgl. auch BGE 120 II 112 E. 3bb).
Die Beklagten weisen zu Recht darauf hin, dass das Bundesgericht in einem Entscheid aus dem Jahre 2006 bestätigt hat, eine Schlichtungspflicht bestehe auch im Falle eines auf eine ordentliche Kündigung folgenden Ausweisungsverfahrens (BGE 132 III 747 E. 5.2 f. in: Pra 7/2007 S. 529 f.). Ein besonderes Verfahren ohne vorgängigen Schlichtungsversuch komme nur bei einer – hier nicht vorliegenden – ausserordentlichen Kündigung nach Art. 274g Abs 1 lit. a – d OR zum Zug. Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil der Mieter seinen Pflichten aus dem Mietvertrag nicht mehr nachgekommen oder weil über ihn der Konkurs eröffnet worden ist (Higi, Zürcher Komm., N 26 zu Art. 274g OR). In diesen Fällen soll die Ausweisung nicht verzögert werden, ist doch auch eine Erstreckung des Mietverhältnisses ausgeschlossen (Art. 272a Abs. 1 lit. a - c OR). Bei der ordentlichen Kündigung kann dem Mieter indessen kein solcher Vorwurf gemacht werden, weshalb ihm mehr Schutz zusteht. Insofern kann das Schlichtungsverfahren als eine Art „Prozessvoraussetzung“ des Bundesrechts bezeichnet werden (Higi, a.a.O., N 27 zu Art. 274a OR).
Auch der Botschaft des Bundesrates zur Schweizerischen Zivilprozessordnung lässt sich für den Fall, dass die Mieter trotz ordentlicher und unangefochtener Kündigung in der Wohnung verbleiben, nichts zu Gunsten der Kläger entnehmen. Das dort als „Rechtsschutz in klaren Fällen“ betitelte Summarverfahren, welchem kein Aussöhnungsversuch vorangehen muss, spiele „etwa für die Ausweisung von Mieterinnen und Mietern sowie Pächterinnen und Pächtern infolge ausserordentlicher Kündigung“ (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] vom 28.06.2006, S. 7352).
Gemäss Bundesgericht kann aber ausnahmsweise trotz Schlichtungsobligatorium von einem Schlichtungsverfahren abgesehen werden, wenn das Beharren darauf einen Rechtsmissbrauch darstellt oder überspitzt formalistisch wäre (Urteile des Bundesgerichts 4C.17/2004 vom 02.06.2004 E. 3.3.2 und 4C.347/2000 vom 06.04.2000 E. 2b).
Die Beklagten reagierten bereits am 10. November 2008 mit einem Schreiben auf die am 17. Oktober ausgesprochene Kündigung. Auch wenn sie diese darin akzeptierten, behielten sie sich doch eine Erstreckung des Mietverhältnisses vor. Da die Kündigung form- und fristgerecht erfolgt ist, hätten die Kläger nach Ablauf von 30 Tagen seit deren Empfang durch die Beklagten ohne Risiko selber eine Schlichtungsverhandlung verlangen können (vgl. Art. 273 Abs. 2 lit. a OR).
Ein Ausweisungsbegehren darf zwar schon vor der Beendigung des Mietverhältnisses gestellt werden, wenn sich aus dem Verhalten des Mieters ergibt, dass er nicht gewillt ist, das Mietobjekt rechtzeitig zu verlassen (vgl. SVIT-Komm. Mietrecht, 3. Aufl., Zürich 2008, N 17 zu Art. 274g OR; Weber, a.a.O., N 3 zu Art. 267 OR; APG Entscheid S. 5 f. E. 5.2). Die Beklagten machten jedoch geltend, diese Voraussetzung sei gerade nicht erfüllt gewesen. Dass sie unter diesen Umständen an der Durchführung eines Schlichtungsversuchs vor der Schlichtungsbehörde festgehalten haben, kann ihnen nicht als rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden. Zusammengefasst verletzte die Gutheissung des Ausweisungsbegehrens ohne vorgängiges Schlichtungsverfahren daher Bundesrecht.
Nach § 186 Abs. 1 lit. b ZPO entfällt im summarischen Verfahren der Aussöhnungsversuch. Es stellt sich deshalb die Frage, ob das Befehlsverfahren wegen des obligatorischen Schlichtungsversuchs überhaupt möglich ist. Nach Ansicht des Gerichts soll der Vermieter für die Ausweisung nach einer nicht angefochtenen ordentlichen Kündigung nicht in das lange dauernde ordentliche Verfahren verwiesen werden. Das Befehlsverfahren ist deshalb weiterhin zuzulassen, wobei § 186 Abs. 1 lit. b ZPO wegen des Vorrangs des Bundesrechts in diesem Fall nicht greift (Art. 49 Abs. 1 BV). Wird das Ausweisungsgesuch eingereicht, ohne dass ein Schlichtungsversuch stattgefunden hat, ist § 200 Abs. 2 ZPO analog anzuwenden. Der Richter hat dem Gesuchsteller eine Frist zur nachträglichen Durchführung des Schlichtungsverfahrens anzusetzen. Wird der Weisungsschein rechtzeitig nachgereicht, ist über die Ausweisung zu entscheiden. Da das Gesetz die Konstellation des fehlenden Weisungsscheins ausdrücklich in § 200 Abs. 2 ZPO nennt, kann der Ansicht der Beklagten nicht gefolgt werden, eine nachträgliche Beibringung desselben sei nicht möglich. Es liegt, entgegen der Ansicht der Beklagten, auch kein Fall von Litispendenz vor, denn der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht kommt bezüglich der Ausweisung von Mietern keine Spruchkompetenz zu und das Verfahren vor ihr ist auch kein richterliches (vgl. Vogel/ Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, 8. Aufl., Bern 2006, 8 N 42; Higi, a.a.O., N27 zu Art. 274a OR).
Diesen Ausführungen entsprechend wurde den Klägern mit Verfügung vom 29. Juni 2009 eine Frist bis 31. August 2009 angesetzt, um einen gültigen Weisungsschein aufzulegen. Das Rekursverfahren wurde solange sistiert. Mit Eingabe vom 26. August 2009 (Postaufgabe: 27.08.2009) reichten die Kläger den gültigen Weisungsschein innert Frist nach. Damit sind die Prozessvoraussetzungen erfüllt.

Décision

46/10 - Obligatorisches Schlichtungsverfahren

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