Kündigungsschutz bei einem gemischten Vertrag

Base légale

Nom du tribunal

Obergericht des Kantons Zürich

Date

05.06.2018

Résumé

Bei einem Aufenthaltsvertrag für betreutes Wohnen – i.S. eines gemischten Vertrages – kommt im Streitfall die sog. Kombinationstheorie zum Tragen (E. 3.5.2). Lässt sich der Alltag in einem Wohnheim trotz Betreuungsangebots weitgehend autonom gestalten und ist im Hinblick auf die Kündigung die Interessenlage der Bewohner primär darin zu sehen, dass sie durch die Wohngruppe ein Zuhause haben, so finden die Formvorschriften und Kündigungsschutzbestimmungen des Mietrechts Anwendung. Insbesondere wenn es sich bei den Bewohnern um wirtschaftlich und sozial schwächere Parteien handelt (E. 3.6.3-3.6.6).

Exposé des faits

A. B. [Bewohnerin] und der Verein C. schlossen am 9. Dezember 2009 einen «Aufenthaltsvertrag für Bewohnerinnen und Bewohner» ab. Der Eintritt in die Wohngruppe Z. für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung sollte per 1. Januar 2010 erfolgen. Der Aufenthaltsvertrag enthielt ein möbliertes Zimmer, sämtliche Mahlzeiten, Besorgung der Hauswäsche und die Betreuung sowie Beratung durch den Verein C. in lebenspraktischen Bereichen.
Nach einem Konflikt zwischen A. B. und einer Mitbewohnerin, wurde Erstere in einem Gespräch vom 9. August 2016 darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht in der Wohngruppe wohnen könne, wenn sie sich bedrohlich verhalte. Im Schreiben vom 11. August 2016 sprach der Verein C. gegenüber A. B. eine schriftliche Verwarnung mit Kündigungsandrohung aus. Dieser Schritt wurde mit einer erneuten Eskalation trotz mündlicher und schriftlicher Verwarnung begründet. Das als problematisch bezeichnete Verhalten von A. B. wurde in einer «individuellen Vereinbarung» zwischen dem Verein C. und A. B. vom 16. August 2016 sowie in einem Gespräch am 18. August 2016 thematisiert.
Der Verein C. kündigte den Aufenthaltsvertrag mit
A. B. zunächst mit Schreiben vom 23. September 2016 und danach nochmals mit Schreiben vom 11. Januar 2017. A. B. focht die Kündigungen fristgerecht an und reichte – nach gescheiterten Schlichtungsverhandlungen – ihre Klage am Mietgericht ein. Das Mietgericht erklärte beide Kündigungen des Vereins C. als wirksam und gültig. Gegen diesen Entscheid erhob A.B. Beschwerde vor dem Obergericht Zürich. Dieses beschäftigte sich eingängig mit der Frage, ob das Mietgericht in sachlicher Hinsicht zuständig war und die mietrechtlichen Bestimmungen über Wohn- und Geschäftsräume auf das im Streit liegende Element des Aufenthaltsvertrages Anwendung finden.

Considérations

2. Sachliche Zuständigkeit

2.3.1. […] Der Kanton Zürich hat für jeden Bezirk ein Mietgericht vorgesehen (vgl. § 3 Abs. 2 GOG/ZH; Art. 4 Abs. 1 ZPO), welches über Streitigkeiten zu befinden hat, wenn es sich um eine solche aus einem Miet- oder Pachtverhältnis über Wohn- oder Geschäftsräume handelt
(§ 21 GOG/ZH). Die sachliche Zuständigkeit des Mietgerichts und des mietgerichtlichen Einzelgerichts beschränkt sich gemäss § 21 Abs. 1 lit. a und § 26 GOG/ZH somit auf alle Klagen aus Mietverträgen, deren vertragsgemässer Gebrauch eines Raums im Wohnen oder Geschäften im Sinne des OR besteht und auf die daher die Bestimmungen über die Wohn- und Geschäftsraummiete des OR Anwendung finden (vgl. OGer ZH NP170010 vom 30. Mai 2017, E. 3.4.2 f.). Unzuständigkeit besteht gemäss Urteil der Kammer unter anderem für die Beurteilung aller Klagen aus Gebrauchsüberlassungsverträgen, die weder als Miete noch als Pacht von Wohn- und/oder Geschäftsraum i.S. des OR zu qualifizieren sind, sondern z.B. als gemischter Vertrag (vgl. OGer ZH NP170010 vom 30. Mai 2017, E. 3.4.3, auf welches sich auch der Verein C. bezieht). In Hinblick auf gemischte Verträge ist die Rechtsprechung der Kammer zu präzisieren. So ist die sachliche Zuständigkeit der Mietgerichte nicht in jedem Fall zu verneinen. Vielmehr ist diese dann zu bejahen, wenn bei einem gemischten Vertrag auf das im Streit liegende Vertragselement die mietrechtlichen Bestimmungen zu Wohn- und Geschäftsräumen des OR im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung als anwendbar erscheinen.

2.3.2. Bei der Frage nach der sachlichen Zuständigkeit und damit der Frage, ob die mietrechtlichen Bestimmungen zu Wohn- und Geschäftsräumen zur Anwendung gelangen, handelt es sich um eine sogenannte doppelt relevante Tatsache. Sie ist damit sowohl für die Zuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage erheblich. Im Rahmen der Prüfung der sachlichen Zuständigkeit ist zu ihrer Beantwortung in erster Linie auf das von A. B. geltend Gemachte abzustellen und dieses ist als wahr zu unterstellen. Allfällige Einwände der Gegenpartei sind im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung unbeachtlich (BSK OR I-Kaiser Job, 6. Aufl. 2015, Art. 33 N 21). Demnach ist im Fall von gemischten Verträgen danach zu fragen, ob A. B. einen Sachverhalt geltend macht, gestützt auf welchen die Anwendung der mietrechtlichen Bestimmungen des OR als angezeigt erscheint. Die Frage nach der tatsächlichen Anwendbarkeit ist erst im Rahmen der materiellen Prüfung abschliessend zu beantworten.

2.4. Vor der Vorinstanz brachte A. B. vor, Gegenstand des Vertrages sei die Überlassung eines möblierten Einzelzimmers zur alleinigen Benützung sowie diverse gemeinschaftliche Räume zur Mitbenützung mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern der Wohngruppe Z. Der Vertrag beinhalte sodann verschiedene Dienstleistungen des Vereins C. zu Gunsten von A. B. Es gehe im Vertrag aber überwiegend um die Überlassung von Wohnraum gegen Entgelt, weshalb die mietrechtlichen Bestimmungen des OR zur Anwendung gelangten. Aufgrund der Sachvorbringen von A. B., namentlich aufgrund des von ihr ins Recht gereichten Vertrages und der Umschreibung desselben, ist von einem gemischten Vertrag auszugehen (vgl. die nachfolgenden Ausführungen unter E. III./3.), wobei A. B. ihrerseits eher von einem typischen Vertrag mit Beimischung auszugehen scheint, indem sie den dominierenden Charakter des mietrechtlichen Elements betont. So oder anders ist aber die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Kündigungsschutzbestimmungen auf das streitgegenständliche Verhältnis zu bejahen, wie nachfolgend zu zeigen sein wird (vgl. E. III./3.). Entsprechend ist die sachliche Zuständigkeit des Mietgerichts gegeben. Die Vorinstanz ist zu Recht auf die Klage eingetreten.

3. Anwendbare Bestimmungen

3.4. Bei den Innominatkontrakten wird zwischen gemischten Verträgen und Verträgen eigener Art unterschieden. Gemischte Verträge unterscheiden sich von Verträgen eigener Art dadurch, dass sie verschiedene Vertragstypen kombinieren, während letztere gänzlich neue Schöpfungen darstellen (BSK OR I-Amstutz/Morin, a.a.O., Einl. vor Art. 184 ff. N 8 ff.). Vom gemischten Vertrag zu unterscheiden ist wiederum der Fall, dass ein Vertragstyp in einer derartigen Weise dominiert, dass der atypischen Leistung untergeordnete Bedeutung zukommt, so dass der Typus der Hauptleistung den ganzen Vertrag regelt (sog. «typischer Vertrag mit Beimischung», BSK OR I-Amstutz/Morin, a.a.O, Einl. vor Art. 184 ff. N 9). Beim vorliegenden Aufenthaltsvertrag werden verschiedene Vertragstypen kombiniert (Miete, Auftrag, Werkvertrag), ohne dass von Vorneherein ein klarer Schwerpunkt erkannt werden kann. Es ist daher von einem gemischten Vertrag auszugehen und es ist das anwendbare Recht zu bestimmen.

3.5.1. Aus der Inhaltsfreiheit des Vertragsrechtes ergibt sich, dass zum anwendbaren Recht bei gemischten Verträgen als erstes die Frage danach zu stellen ist, was die Parteien im zu beurteilenden Vertrag festgelegt haben oder hätten, wenn sie daran gedacht hätten, eine entsprechende Regelung zu treffen. Die Inhaltsfreiheit wird aber durch zwingendes Vertragstypenrecht begrenzt, welches wiederum zur Anwendung gelangt, wenn der Vertrag dem Vertragstypenrecht mit zwingenden Bestimmungen zugeordnet werden kann. Dies ist anhand der Auslegung der Essentialia zu beantworten (Biber, Die Anwendung der mietrechtlichen Schutzbestimmungen auf gemischte Verträge, mp 2014 S. 1, Rz. 19 ff.; ZK OR-Higi, 4. Aufl. 1995, Vorbem. zu Art. 266–266o OR N 174 ff. und N 178).

3.5.2. Das Ergebnis dieser Auslegung hängt aber seinerseits davon ab, nach welcher Rechtsanwendungstheorie vorgegangen wird. Insgesamt ist eine Tendenz des Bundesgerichts feststellbar, auf gemischte Verträge die Kombinationstheorie anzuwenden, was sachgerecht erscheint (vgl. zum Ganzen etwa BGE 139 III 49, E. 3.3; BGE 131 III 528 = Pra 95 [2006] Nr. 43, E. 7.1.; ferner: BSK OR I-Am-stutz/Morin, a.a.O., Einl. vor Art. 184 ff. N 23, m.w.H.; OGer ZH NG110007 vom 26. Januar 2012, E. 2.9.3.; OGer ZH NM080008 vom 20. Oktober 2008, E. 2.9.3.). Anders als bei der Absorptionstheorie ist der gemischte Vertrag nach der Kombinationstheorie nicht dem Recht eines einzigen Vertragstyps zu unterstellen. Vielmehr muss jede Rechtsfrage, welche ein gemischter Vertrag aufwirft, isoliert betrachtet und im Zusammenhang untersucht werden, welches der im Vertrag enthaltenen Typenrechte für diese konkrete Frage dominiert. Hierzu ist vom Schwerpunkt des Vertrages auszugehen, der als einheitliche Gesamtvereinbarung zu erfassen ist (vgl. Regeste von BGE 131 III 528). Der Aspekt des Regelungsschwerpunktes ist demzufolge nur massgebend für die Lösung eines konkreten Rechtsproblems, nicht aber für die Zuordnung eines Vertrags als Ganzes unter einen bestimmten gesetzlichen Vertragstyp. Diese Theorie der Übernahme gesetzlicher Einzelanordnung wird in der juristischen Umgangssprache auch als «Blumenpflücktheorie» bezeichnet. Die zwingenden Gesetzesbestimmungen und damit die mietrechtlichen Schutzbestimmungen finden dann Anwendung, wenn der gemischte Vertrag die Essentialia der Miete enthält und der Regelungsschwerpunkt in der eigentlichen Überlassung eines Raumes liegt. Letztlich steht in einem solchen Fall das Grundbedürfnis, ein Dach über den Kopf zu haben, auf dem Spiel (Biber, a.a.O., Rz. 85 m.w.H.). Zu beachten ist sodann im Rahmen des zu bestimmenden Rechts, dass es angesichts der wechselseitigen Abhängigkeit der verschiedenen vermischten Vertragselemente nicht möglich ist, Rechtsfragen, welche sich für diese Elemente gleichermassen stellen (wie z.B. die Kündigung) nach Massgabe jeweils unterschiedlicher Typenrechte zu beantworten; ansonsten müsste der auftragsrechtliche Teil nach Auftrags- und der mietrechtliche Teil nach Mietrecht beurteilt werden. Gemäss dem Bundegericht ist daher für die spezifische Einzelfrage – hier die Kündigung – von den durch die Typenrechte zur Verfügung gestellten Regeln die adäquateste anzuwenden, wobei Schutzgedanke und Schwerpunkt beim Entscheid über die Adäquanz heranzuziehen sind. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Wichtigkeit des einen oder anderen Elements im Hinblick auf die Gestaltung der Gesamtrechtslage ist die Interessenlage der Parteien, wie sie in der von ihnen getroffenen vertraglichen Regelung zum Ausdruck gelangt (BGE 118 II 157, E. 2c; BGE 131 III 528 = Pra 95 (2006) Nr. 43, E. 7.1.; vgl. auch OGer ZH NG110007 vom 26. Januar 2012, E. 2.9.2. ff.).

3.6.1. Aus den einzelnen Vertragsbestandteilen wird deutlich, dass die Parteien mit dem Vertragsverhältnis eine Form des betreuten Wohnens regelten. Die vertraglichen Leistungen des Vereins C., welche im Pensionspreis inbegriffen sind, umfassen das Zurverfügungstellen von Wohnraum (Benützung Einzelzimmer und Mitbenützung Gemeinschaftsräume) inkl. Besorgung der Hauswäsche und die tägliche Verpflegung («alle Mahlzeiten, sofern nicht anders festgehalten»). Weiter bietet der Verein C. den Bewohnern der Wohngruppe Z., nämlich acht Frauen und Männern mit psychischer Beeinträchtigung, die Betreuung und Beratung in lebenspraktischen Bereichen im Rahmen des Konzepts. Vom Verein C. wird den Bewohnerinnen und Bewohnern der Wohngruppe Unterstützung geboten für das Erlernen von Strategien im Umgang mit Krankheitssymptomen und Krisen, das Aufrechterhalten einer externen Tagesstruktur, die hilfreiche Gestaltung der Freizeit, das Aufbauen und Pflegen sozialer Kontakte, das selbständige Ausführen von Hausarbeiten, das Fördern sozialer Kompetenzen etc. Während sechs Tagen in der Woche ist ein Teammitglied des Vereins C. in der Wohngruppe anwesend, ansonsten ist das Team bei Notfällen telefonisch erreichbar. Mietrechtliches Element stellt folglich die Überlassung des Zimmers sowie die (Mit-)Benützung der Gemeinschaftsräume dar. Keine mietrechtlichen Elemente, sondern auftrags- oder werkvertragliche Elemente sind die Reinigung der Hauswäsche, die teilweise Verpflegung sowie die Beratungs- und Betreuungsleistungen.

3.6.2. Vergleichbare Vertragsgebilde werden in der Literatur als «Heimvertrag», «Beherbergungs- und Betreuungsvertrag» oder «Pensionsvertrag» bezeichnet. Da die mietrechtlichen Elemente gemäss den Autoren oft in den Hintergrund träten, fänden Auftrags-, Kauf- oder Werkvertragsrecht bzw. auch Hinterlegungsrecht Anwendung. Beim Mietrecht handle es sich in diesem Fall um eine typenfremde Nebenleistung; die Bestimmungen über den Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen fänden ebenso wenig Anwendung wie diejenigen über den mietrechtlichen Kündigungsschutz (so: Bisang, Fragen im Zusammenhang mit gemischten Verträgen mit mietrechtlichem Einschlag, mietrechtspraxis 2010 S. 235; Breitschmid/Witter/Steck, Der Heimvertrag, fampra 04/2009, S. 867 ff., S. 885 u. S. 888). Wie sich dies jedoch im Einzelfall – und insbesondere für den streitgegenständlichen Vertrag – verhält, kann nicht gestützt auf diese generalisierten Aussagen beantwortet werde, handelt es sich beim «Heimvertrag» doch gerade nicht um einen einheitlichen Vertragstypus. Dass pauschale Aussagen zur Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit der mietrechtlichen Bestimmungen nicht möglich sind, zeigt sich an der grossen Vielfalt an Verträgen, die durch Kombination erschaffen werden können und innerhalb derer die einzelnen Vertragstypen stärker oder schwächer ausgeprägt in Erscheinung treten. Es ist daher anhand des konkreten Vertrags und im Hinblick auf die Kündigung danach zu fragen, ob das mietrechtliche Element tatsächlich in den Hintergrund tritt.

3.6.3. Eine Gegenüberstellung der vertraglichen Elemente macht deutlich, dass sowohl das mietrechtliche Element als auch die mietvertragsfremden Elemente wesentlich sind. Eine Gewichtung lässt sich unter anderem anhand des Pensionspreises ablesen, wie dies auch die Vorinstanz zutreffend ausführte. Aufgrund des Verhältnisses des Pensionspreises in Höhe von Fr. 6126.- zu dem vom Verein C. für die Elfzimmerwohnung zu leistenden Mietzins in Höhe von Fr. 3476.- lässt sich tatsächlich nicht leichthin annehmen, das Vertragsverhältnis werde schwergewichtig durch das mietrechtliche Element geprägt. Der Pensionspreis ist indes nur ein wesentlicher Vertragsbestandteil, welcher in die Beurteilung einfliesst.

3.6.4. In diesem Sinn setzte sich auch die Vorinstanz mit dem streitgegenständlichen Vertrag auseinander. Sie geht aber in ihren Erwägungen etwas weit, wenn sie den Bewohnern unterstellt, die angebotenen Dienstleistungen stellten für sie keine für den Vertragsabschluss entscheidenden Aspekte dar. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Bewohner wohl gerade diese Form des Wohnens wählen, weil sie eine Unterstützung, wie sie durch den Verein C. geboten wird, und das gemeinschaftliche Zusammenwohnen mit den anderen Bewohnern, inklusive Verpflegung und gemeinsamer Einnahme der Mahlzeiten etc., suchen. Die Aussicht darauf, diese durch den Verein C. angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, erscheint daher neben dem Wohnen als wesentlicher Faktor, warum eine Person in einer solchen Institution wohnt.

3.6.5. Zu beachten ist aber auch, dass sich der Alltag der Bewohner trotz den Leistungen des Vereins C. als in weiten Teilen autonom ausgestaltet und diese nicht auf eine derart engmaschige Betreuung, wie dies beispielsweise in einem klassischen Pflegeheim der Fall wäre, angewiesen sind (resp. eine solche auch nicht in Anspruch nehmen könnten, da dies vom Verein C. nicht angeboten wird). So sind die Bewohner der Wohngruppe Z. immer wieder ohne Teammitglied des Vereins C. in der Wohnung (so über Nacht und am Sonntag den ganzen Tag), teilweise selbst um ihr Essen besorgt (insb. Samstag Abend und Sonntag Abend), waschen ihre persönliche Wäsche und reinigen ihr Zimmer selber und selbständig sowie die Gemeinschaftsräume gemeinsam nach einem Plan. Auch sollten die Bewohner gemäss eigener Beschreibung des Vereins C. über eine Tagesstruktur im Rahmen einer geschützten oder ungeschützten Arbeitstätigkeit ausserhalb der Wohngruppe verfügen. Die Bewohner bedürfen damit nicht der Rundumbetreuung oder -pflege und führen offenbar einen weitgehend autonomen Alltag, in welchem sie auf das Unterstützungsangebot des Vereins C. zurückgreifen können. Ziel des Angebotes des Vereins C. ist es, Menschen mit Beeinträchtigung eine möglichst optimale Form des Wohnens zu bieten (so auch die Vorinstanz).

3.6.6. Unter Beachtung dessen ist im Hinblick auf die Kündigung die Interessenslage der Bewohner darin zu sehen, dass sie durch die Wohngruppe Z. ein Zuhause haben, in welchem sie zusätzlich die nötige Unterstützung zum Meistern ihres Alltages erhalten. Gerade in Bezug auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses erscheint das Element des «Wohnens» damit klar als vordergründig. So bedeutet eine Kündigung für die Bewohner nicht nur, dass sie die Leistungen des Vereins C. nicht mehr in Anspruch nehmen können, sondern primär auch, dass sie ihr Zuhause verlieren und sich eine neue Bleibe suchen müssen. Ist es den Bewohnern nicht möglich, innerhalb der Kündigungsfrist eine neue geeignete Wohnform zu finden, stehen sie auf der Strasse. Würde Auftragsrecht zur Anwendung gelangen, stünden den Bewohnern nur sehr beschränkte Möglichkeiten offen, sich gegen die Kündigung zur Wehr zu setzen; insbesondere bestünde auch nicht die Möglichkeit, länger in der Wohngruppe zu verbleiben, wenn sie trotz ausgiebiger Suche innerhalb der Kündigungsfrist keine neue, geeignete Wohnform gefunden hätten. Im Interesse der Bewohner und zu deren Schutz sind die mietrechtlichen Schutzbestimmungen anzuwenden. Dies insbesondere auch, da es sich bei den Bewohnern um die wirtschaftlich und – insbesondere auch mit Blick auf die psychischen Beeinträchtigungen – sozial schwächeren Parteien handelt, welche des Schutzes bedürfen. Es erscheint daher sachgerecht, auf den Aufenthaltsvertrag die Kündigungsschutzbestimmungen gemäss Art. 271 ff. OR anzuwenden und ebenso die damit einhergehenden Formvorschriften gemäss Art. 266l-266o OR, soweit der Vertrag seinerseits keine strengeren Formvorschriften aufstellt.

Décision

59/7 - Kündigungsschutz bei einem gemischten Vertrag

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