Kündigung einer subventionierten Wohnung
Base légale
Nom du tribunal
Bezirksgericht Prättigau / Davos
Date
24.10.2002
Résumé
Indem die Mieterschaft, die eine von der Gemeinde verbilligte Wohnung bewohnt, die Einsichtnahme in das Steuerregister verweigert, verstösst sie gegen die Richtlinien der Gemeinde und verletzt so ihre Mitwirkungspflichten. Die Kündigung mit Bezugnahme auf die Einkommensverhältnisse wird als gültig erachtet.
Exposé des faits
Mit Vertrag vom 16. Februar 1990
vermietete das Elektrizitätswerk Davos als unselbständige Anstalt der
Landschaft Davos Gemeinde J. S. eine 4 ½-Zimmerwohnung. Mietantritt war
der 1. April 1990. Mit Vertrag vom 23. September 1994 mietete J. S. eine
Garage hinzu. Mit Postaufgabe vom 19. Dezember 2001 kündigte die
Gemeinde Davos die beiden Mietverhältnisse auf den 31. März 2002 frist-
und formgerecht auf. Mit Brief vom 15. Januar 2002 lieferte die
Vermieterin die seitens des Mieters anbegehrte Begründung dazu. Sie
lautet im Wesentlichen wie folgt:
„Die Landschaft Davos Gemeinde
verfolgt bei der Vermietung ihrer Liegenschaften einen sozialen Aspekt,
indem unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse der Mieter
günstige Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Die Mietkosten für die
4 ½-Zimmerwohnung inklusive Garage und Nebenkosten belaufen sich für
ihre Klienten auf rund Fr. 1'060.--. Die Wohnung soll daher unter diesen
Vertragskonditionen für finanziell schwache Mieter frei gemacht
werden.“
Mit Eingabe vom 18. Januar 2002 gelangten die Mieter an die
Schlichtungsbehörde. Dabei stellten sie folgendes Rechtsbegehren: Die
Kündigung sei zu annullieren. Eventuell seien die gekündigten
Mietverhältnisse nach Art. 272 OR zu erstrecken.
Die Schlichtungsbehörde erklärte die Kündigungen als gültig und gewährte den Mietern eine Erstreckung bis zum 30. April 2003.
Die
Kläger gelangten daraufhin an das Bezirksgericht Prättigau/Davos und
verlangten, der Entscheid der Schlichtungsbehörde sei aufzuheben und die
Kündigung sei zu annullieren. Eventuell seien die gekündigten
Mietverhältnisse nach Art. 272 OR zu erstrecken.
Die Beklagte dagegen
stellte das Rechtsbegehren, die Klage sei abzuweisen und es sei
festzustellen, dass die Kündigungen vom 19. Dezember 2001 gültig per 31.
März 2002 erfolgt sind.
Im Rahmen der richterlichen Befragung führte
C. P. aus, das Ehepaar S. B. sowie F. G. seien die einzigen Mieter von
Gemeindewohnungen gewesen, die weder über ihr Einkommen Auskunft gegeben
noch die Gemeinde ermächtigt hätten, in ihr Steuerregister Einblick zu
nehmen.
Considérations
5a) Nach Art. 271 Abs. 1 OR ist eine Kündigung anfechtbar, wenn sie
gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. Dies ist
beispielsweise dann der Fall, wenn die ausgesprochene Kündigung keinem
schützenswerten Interesse entspricht (krasses Missverhältnis der
gegenseitigen Interessen) und als eigentliche Schikane erscheint
(SVIT-Kommentar, 2. Aufl., Zürich 1998, N 19 ff. zu Art. 271 OR; mp
1/93, S. 31, E. 4b). Sodann rechtfertigen typische
Rechtsmissbrauchsfälle – wie zum Beispiel fehlendes Interesse an der
Rechtsausübung, zweckwidrige Benützung einer rechtlichen Einrichtung,
krasse Ungleichheit der auf dem Spiel stehenden Interessen,
schonungsloser Rechtsgebrauch, widersprüchliches Verhalten – ohne
weiteres die Aufhebung der Kündigung, ist doch in solchen Fällen nicht
erforderlich, dass der Missbrauch als – im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB –
geradezu „offenbar“ erscheinen muss. Eine Kündigung ist weiter dann
aufzuheben, wenn sie sich nicht mit den Regeln von Treu und Glauben
vereinbaren lässt, welche das durch den Vertragsabschluss begründete
Vertrauensverhältnis beherrschen. Kündigungsgründe müssen existent und
stichhaltig sein. Rein subjektive Empfindungen vermieterseits begründen
keinen Kündigungsanspruch (mp 3/92, S. 129 ff.). Art. 271a Abs. 1 OR
bezeichnet neben der vorerwähnten generellen Norm von Art. 271 Abs. 1 OR
beispielhaft Fälle von Vermieterkündigungen, die treuwidrig sind (mp
2/98, S. 94). Ist keiner der in Art. 271a OR genannten besonderen
Tatbestände missbräuchlicher Kündigungen erfüllt, kann sich die
Beendigung des Mietverhältnisses unter Umständen also immer noch
gestützt auf die Generalklausel des Art. 271 Abs. 1 OR rechtfertigen
(Peter Higi, Zürcher Kommentar zum Obligationenrecht, Teilband V2b, Die
Miete, Vierte Lieferung: Art. 271-274g OR; 4. Aufl., Zürich 1996, N 8
und 68 zu Art. 271a OR).
aa) Die hier interessierende Wohnung
soll nach dem Willen der Vermieterin unter den bestehenden günstigen
Vertragskonditionen für einen finanziell schwachen Mieter mit Familie
frei gemacht werden. Die politische Gemeinde Davos ist Eigentümerin
einiger Mehrfamilienhäuser. Am 12./20. September 1990 erliess der kleine
Landrat Richtlinien für die Vermietung von Gemeindewohnungen. Seit der
Umwandlung des EWD in eine Aktiengesellschaft und der Übernahme der
bisher vom EWD verwalteten Mitliegenschaften „Bolgenblick“, „Im Ried“
und „Surselva“ durch die politische Gemeinde Davos haben diese
Richtlinien auch für diese Häuser Gültigkeit erlangt. Die Richtlinien
sind am 27./30. November 2001 überarbeitet und rückwirkend auf den 1.
Januar 2001 in Kraft gesetzt worden. Die Gemeindewohnungen werden in
erster Linie an Sozialfälle, dann an kommunale Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen, Angestellte, Lehrer, pensionierte Angestellte und an
letzter Stelle an die übrigen Bewerber mit einem steuerpflichtigen
Einkommen von bis zu Fr. 72’400.00 vergeben (Art. 2 der Richtlinien).
Die Mietzinse werden zudem den konkreten und regelmässig aktualisierten
Einkommensverhältnissen der Mieter angepasst (Art. 3 und 7 Abs. 1 der
Richtlinien). Das Konzept ist klar und logisch. Die Beklagte legte eine
Liste ins Recht, die über Mietinteressenten Auskunft gibt, welche die
Voraussetzungen für den Bezug einer gemeindeeigenen Wohnung erfüllen
würden, indes (noch) nicht über eine solche Unterkunft verfügen. Damit
konnte die Gemeinde den Nachweis erbringen, dass tatsächlich eine
Nachfrage nach gemeindeeigenen und demnach günstigen Liegenschaften
besteht. (...)
bb) Gemäss Art. 7 Abs. 2 der Richtlinien werden
Mieter, die sich weigern, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen oder
die Steuerverwaltung zur Bestätigung zu ermächtigen, Mietern
gleichgestellt, die über ein steuerbares Einkommen von mehr als Fr.
84'800.00 verfügen. Nach Art. 8 der Richtlinien werden Mieter mit einem
steuerpflichtigen Einkommen über 84'000.00 unter Vorbehalt des
Mietvertrages und des Mietrechts verpflichtet, eine andere Wohnung zu
suchen. Spätestens innerhalb eines Jahres nach Eintritt dieser
Verpflichtung wird die Kündigung auf den nächstmöglichen
Kündigungstermin ausgesprochen. Es ist nun nicht ersichtlich, weshalb
diese Richtlinien für die Kläger, die unbestrittenermassen in einer
Gemeindewohnung logieren, nicht gelten sollen. Über den Geschäftskern,
die essentialia negotii, haben sich J. S. und die Vermieterin geeinigt,
so dass das Zustandekommen eines Mietvertrages nicht zweifelhaft ist.
Überdies konnte den Mietern, nachdem der Mietzins stets aussergewöhnlich
tief war, unmöglich verborgen geblieben sein, dass sie in einer
Gemeindewohnung lebten und, um solches tun zu dürfen, wohl bestimmte
Kriterien erfüllen mussten. Somit dürften bestimmte Bedingungen, die
erst in den Richtlinien von 1990 und 2001 „ausgedeutscht“ wurden,
bereits in den Mietvertrag vom 16. Februar 1990 übernommen worden sein,
wenn auch nicht ausdrücklich, d.h. in Schriftform (Peter Gauch / Walter
R. Schluep / Jörg Schmid / Heinz Rey, Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, Band I, 7. Aufl., Zürich 1998, Nr. 1133 f.).
Ausdrücklich in der Mietvertragsurkunde festgehalten und somit
vereinbart wurde indes, dass J. S. bei der Gemeinde angestellt sein
müsse. Überdies dürfte schon immer klar gewesen sein, dass „Sozialfälle“
oder finanzschwache Familien, für die die Gemeinde ganz oder teilweise
aufkomme, in Gemeindewohnungen untergebracht würden. Sodann ergibt sich
auch nicht aus dem Urteil des Bezirksgerichtspräsidiums Oberlandquart
vom 23. Januar / 17. Juni 1992, in welchem übrigens nicht eine
Kündigung, sondern eine Mietzinserhöhung Gegenstand des Urteils bildete,
dass dem Gemeindereglement eine Anwendung auf die Kläger entzogen sein
soll. Die Kläger haben der Vermieterin die Einsichtnahme in ihr
Steuerregister verweigert. Damit verstiessen sie gegen Art. 7 Abs. 2 der
Richtlinien, womit die Rechtsfolge des Art. 8 der Richtlinien zum Zuge
kam. Der von J. S. für seine Verweigerung angegebene Grund vermag nicht
zu überzeugen, wie er selber leichthin, nämlich durch genaues Studium
des Urteils des Bezirksgerichtspräsidiums Oberlandquart vom 23. Januar /
17. Juni 1992, hätte feststellen können. Die Kläger haben es demnach
sich selber zuzuschreiben, dass ihnen die Wohnung ebenfalls gekündigt
wurde, weil sie ihre Mitwirkungspflichten verletzt haben, zumal im
übrigen nicht ersichtlich ist, dass der der Beklagten im Rahmen der
Prozesseingabe erstmals offenbarte Steuerausweis nicht hätte beigebracht
werden können, als man sie vermieterseits ausdrücklich darum bat. (...)
cc) Zusammenfassend
ist der Vermieterin nach dem Gesagten zuzubilligen, dass sie mit Blick
auf Umsetzung des Reglements für die Vermietung von Gemeindewohnungen
einen gewichtigen Grund hatte, zum Mittel der Kündigung zu greifen.
(...)
Die Klage des J. S. und der L. B. S. gegen die Landschaft Davos Gemeinde wird abgewiesen.
Das
Mietverhältnis bleibt gemäss Entscheid der Schlichtungsbehörde für
Mietverhältnisse erstmalig erstreckt bis zum 30. April 2003.
Décision
37/10 - Kündigung einer subventionierten Wohnung