Herabsetzung des Mietzinses

Base légale

Nom du tribunal

Kreisgericht St. Gallen

Date

21.10.2008

Résumé

Lärm von Baustellen stellt auch in städtischen Verhältnissen grundsätzlich einen Mangel dar, der zu einer Mietzinsherabsetzung berechtigen kann. Der Bau eines Kongresszentrums mit lange dauernden und intensiven Immissionen beeinträchtigt die Gebrauchstauglichkeit einer Wohnung und rechtfertigt eine Mietzinsherabsetzung um 20 % während eines Jahres.

Exposé des faits

Die Kläger sind Mieter einer 4-Zimmer-Wohnung; Vermieterin ist die Beklagte. In unmittelbarer Nähe dieser Liegenschaft baut die Streitberufene ein Kongresszentrum. Wegen den von dieser Baustelle ausgehenden Immissionen forderten die Kläger von der Beklagten eine Reduktion ihres Mietzinses. Die Beklagte gewährte den Klägern darauf für die Zeit von Juni – September 2006 eine Mietzinsreduktion von 20%; eine weitere Mietzinsreduktion lehnte sie ab.
Die Kläger gelangten deshalb am 16.7.2007 an die Schlichtungsstelle für Mietverhältnisse und beantragten mit Wirkung ab Oktober 2006 eine Reduktion des Mietzinses um 30%. An der Schlichtungsverhandlung vom 27.2.2009 konnte keine Einigung erzielt werden. Innert angesetzter Frist reichten die Kläger am 26.3.2008 Klage beim Kreisgericht St. Gallen ein.

Considérations

3.1 Herabsetzung des Mietzinses nach Art. 259d OR
Wird die Tauglichkeit der Sache zum vorausgesetzten Gebrauch beeinträchtigt oder vermindert, so kann der Mieter vom Vermieter verlangen, dass er den Mietzins vom Zeitpunkt, in dem er vom Mangel erfahren hat, bis zur Behebung des Mangels entsprechend herabsetzt (Art. 259d OR). Die Kläger machen sinngemäss geltend, der Bau des Kongresszentrums habe die Tauglichkeit ihrer Mietwohnung derart beeinträchtigt und vermindert, dass sich eine Herabsetzung des Mietzinses um 30% rechtfertige.

3.2  Vorausgesetzter Gebrauch von Mietwohnungen in der Stadt
Der vorausgesetzte Gebrauch von Mietwohnungen in der Stadt wird durch den üblichen Gebrauch und die objektiven Erwartungen der Mieterschaft im Zeitpunkt des Vertragsschlusses festgelegt (vgl. mp. 2000, S. 170). Individuelle Verhältnisse der Mieter dürfen nur berücksichtigt werden, wenn diese in die Vertragsverhandlungen eingebracht worden sind.
Die Wohnung gehört zur Privatsphäre eines Menschen. Es ist ein Ort, an dem er sich jederzeit zurückziehen, ausruhen und wohl fühlen können soll. Wohnungen dienen dem Schlafen, dem Kochen, dem Empfang von Besuch, der Entspannung und Erholung, der Pflege von Hobbys und dem Aufenthalt im Allgemeinen, dies nicht nur nachts, sondern auch tagsüber. Diese Funktionen sollte eine Wohnung grundsätzlich jederzeit erfüllen, wobei sich gewisse Differenzierungen und Einschränkungen aufgrund der Lage und der Tageszeiten ergeben können. Die Wohnung der Kläger befindet sich im Zentrum der Stadt. Ein durchschnittlicher Stadt- und Strassenlärm ist hier alltäglich und muss in Kauf genommen werden. Zu dieser Lage gehört auch, dass an benachbarten Liegenschaften Unterhalts- und Renovationsarbeiten vorgenommen werden und dass es ab und zu auch zu umfassenden Sanierungen kommt. Entgegen der Ansicht der Streitberufenen mussten die Kläger jedoch im Zeitpunkt ihres Mietvertragsabschlusses nicht annehmen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Kongresszentrum mit den nun realisierten Ausmassen gebaut würde. Einerseits ist unklar, ab welchem Zeitpunkt das konkrete Ausmass des Bauvorhabens der breiten Bevölkerung überhaupt bekannt war. Andererseits war das Projekt auch lange Zeit stark umstritten. Es erforderte eine Volksabstimmung, um den Verkauf der städtischen Liegenschaften zu ermöglichen, welcher für die Realisierung notwendig war (gerichtsnotorisch), und der relevante Überbauungs- und Gestaltungsplan wurde erst per 1.11.2005 in Kraft gesetzt. Die Bewilligung für den konkreten Bau wurde schliesslich erst am 13.4.2006 erteilt.
Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mussten die Kläger somit davon ausgehen, dass sie eine Wohnung mieteten, welche den üblichen innerstädtischen Einflüssen unterlag. Für sie war damals aber nicht erkennbar, dass auf dem Nachbargelände ein Kongresszentrum mit den jetzt realisierten Dimensionen gebaut würde.

3.3 Beeinträchtigung des Tauglichkeit der Sache
In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob durch die Bauarbeiten von Oktober 2006 bis Oktober 2007 die Tauglichkeit der Wohnung derart beeinträchtigt oder vermindert wurde, dass ein Mangel im Sinne von Art. 259d OR vorlag.
Das Bundesgericht hat festgehalten, dass wegen fehlender gesetzlicher Definition der Begriff des Mangels anhand des zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustandes, zu dem die Sache vermietet wurde, im Sinne von Art. 256 Abs. 1 OR zu definieren sei; es sei ein Vergleich zwischen dem tatsächlichen und dem vereinbarten Zustand anzustellen. Massgebend sei der Zustand, mit welchem der Mieter nach dem Inhalt des Vertrages vernünftigerweise rechnen durfte. Weiter komme es nicht darauf an, ob die Störung im Einflussbereich des Vermieters liege oder nicht. Lärm von benachbarten Baustellen stelle auch in städtischen Verhältnissen grundsätzlich einen Mangel dar, der zu einer Mietzinsherabsetzung berechtigen könne (BGE 4C. 377/2004 vom 2.12.2004, in mp 2005, S. 246 ff.).
Das Kongresszentrum weist ein beträchtliches Volumen auf und geht weit über das übliche Mass alltäglicher innerstädtischer Bauvorhaben hinaus. Ab Juni 2006 wurden mit rund 7´500 Lastwagenfahrten insgesamt 80´000 m3 Aushub abgeführt. Die Arbeiten gestalteten sich äusserst schwierig, weil der Untergrund aus Fels bestand. Während Monaten wurde gefräst, gebohrt und gesprengt. Die Geräusche, Vibrationen und Erschütterungen vom Fräsen und Bohren des Gesteins und der Sprenglöcher übertrugen sich über den Fels auch auf die Liegenschaft. Zudem herrschte ein ständiger Lastwagenverkehr. Die Bagger befüllten täglich Dutzende von Lastwagen. Diese fuhren an der Liegenschaft vorbei und warteten dort - oftmals in Kolonne – auf ihre Beladung. Bei diesen Umständen ist klar, dass die Umgebung unter Lärm und Abgasen zu leiden hatte. Die Darstellung der Kläger, sie hätten wegen des Abgasgestanks und des Lärms die Fenster nicht mehr öffnen und die Dachterrasse kaum mehr benützen können, ist glaubwürdig. Die Kläger wurden in ihrem Bedürfnis, sich zu Hause erholen, entspannen und unterhalten zu können, insgesamt über mehr als ein Jahr gestört. Nachvollziehbar ist auch, dass das Nachhause-Gehen in dieser Situation „keinen Spass“ mehr machte und dass das psychische Wohlbefinden unter dieser lang andauernden Belastung litt. Die Wohnqualität der Kläger verminderte sich mit Beginn des Bauprojektes stark. Plötzlich grenzte ihre Wohnung an eine grosse Baustelle. Auf der Westseite klaffte eine riesige Baugrube und die Umgebung war insgesamt geprägt von Lärm, Staub und Gestank. Immissionen von solcher Intensität und derart langer Dauer übersteigen selbst das in einer Stadt hinzunehmende Mass deutlich und beeinträchtigten die Gebrauchstauglichkeit einer Wohnung. Der Einwand der Streitberufenen, eine durchschnittlich empfindliche Person fühle sich durch solche Immissionen nicht beeinträchtigt, ist unzutreffend. Es trifft zwar zu, dass X. zu Handen der Beklagten attestierte, die Bautätigkeit habe für keine übermässigen Immissionen gesorgt. Dieser Einschätzung stehen jedoch die klaren objektiven Gegebenheiten gegenüber: ein Bauvorhaben wie das vorliegende ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung generell mit starken Immissionen verbunden. Selbst in den von der Beklagten sporadisch vorgenommenen Erhebungen wird von zum Teil „sehr lauten“ Lärmbelästigungen berichtet. Von zentraler Bedeutung ist, dass die verschiedenen Immissionen nicht nur einige wenige Wochen dauerten, sondern dass es während mehr als eines Jahres immer wieder zu Lärm, Staub, Gestank und Erschütterungen unterschiedlichen Ausmasses kam. Diesen ständigen und oftmals unvermittelt auftretenden Beeinträchtigungen konnten die Kläger kaum ausweichen. Je länger sie dauerten, umso belastender und zermürbender wurden sie. Alles in allem beeinträchtigten die von der Baustelle ausgehenden Immissionen die Wohnsituation der Kläger derart stark, dass eine verminderte Tauglichkeit im Sinne von Art. 259d OR vorlag, welche eine Mietzinsherabsetzung rechtfertigt.

Aufgrund all dieser Umstände erscheint es angemessen, den Nettomietzins im Zeitraum vom Oktober 2006 bis Oktober 2007 um 20% zu reduzieren.

Décision

46/5 - Herabsetzung des Mietzinses

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