Kreisgericht St. Gallen
21.10.2008
Lärm von Baustellen stellt auch in städtischen Verhältnissen grundsätzlich einen Mangel dar, der zu einer Mietzinsherabsetzung berechtigen kann. Der Bau eines Kongresszentrums mit lange dauernden und intensiven Immissionen beeinträchtigt die Gebrauchstauglichkeit einer Wohnung und rechtfertigt eine Mietzinsherabsetzung um 20 % während eines Jahres.
3.1 Herabsetzung des Mietzinses nach Art. 259d OR
Wird die
Tauglichkeit der Sache zum vorausgesetzten Gebrauch beeinträchtigt oder
vermindert, so kann der Mieter vom Vermieter verlangen, dass er den
Mietzins vom Zeitpunkt, in dem er vom Mangel erfahren hat, bis zur
Behebung des Mangels entsprechend herabsetzt (Art. 259d OR). Die Kläger
machen sinngemäss geltend, der Bau des Kongresszentrums habe die
Tauglichkeit ihrer Mietwohnung derart beeinträchtigt und vermindert,
dass sich eine Herabsetzung des Mietzinses um 30% rechtfertige.
3.2 Vorausgesetzter Gebrauch von Mietwohnungen in der Stadt
Der
vorausgesetzte Gebrauch von Mietwohnungen in der Stadt wird durch den
üblichen Gebrauch und die objektiven Erwartungen der Mieterschaft im
Zeitpunkt des Vertragsschlusses festgelegt (vgl. mp. 2000, S. 170).
Individuelle Verhältnisse der Mieter dürfen nur berücksichtigt werden,
wenn diese in die Vertragsverhandlungen eingebracht worden sind.
Die
Wohnung gehört zur Privatsphäre eines Menschen. Es ist ein Ort, an dem
er sich jederzeit zurückziehen, ausruhen und wohl fühlen können soll.
Wohnungen dienen dem Schlafen, dem Kochen, dem Empfang von Besuch, der
Entspannung und Erholung, der Pflege von Hobbys und dem Aufenthalt im
Allgemeinen, dies nicht nur nachts, sondern auch tagsüber. Diese
Funktionen sollte eine Wohnung grundsätzlich jederzeit erfüllen, wobei
sich gewisse Differenzierungen und Einschränkungen aufgrund der Lage und
der Tageszeiten ergeben können. Die Wohnung der Kläger befindet sich im
Zentrum der Stadt. Ein durchschnittlicher Stadt- und Strassenlärm ist
hier alltäglich und muss in Kauf genommen werden. Zu dieser Lage gehört
auch, dass an benachbarten Liegenschaften Unterhalts- und
Renovationsarbeiten vorgenommen werden und dass es ab und zu auch zu
umfassenden Sanierungen kommt. Entgegen der Ansicht der Streitberufenen
mussten die Kläger jedoch im Zeitpunkt ihres Mietvertragsabschlusses
nicht annehmen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein
Kongresszentrum mit den nun realisierten Ausmassen gebaut würde.
Einerseits ist unklar, ab welchem Zeitpunkt das konkrete Ausmass des
Bauvorhabens der breiten Bevölkerung überhaupt bekannt war. Andererseits
war das Projekt auch lange Zeit stark umstritten. Es erforderte eine
Volksabstimmung, um den Verkauf der städtischen Liegenschaften zu
ermöglichen, welcher für die Realisierung notwendig war
(gerichtsnotorisch), und der relevante Überbauungs- und Gestaltungsplan
wurde erst per 1.11.2005 in Kraft gesetzt. Die Bewilligung für den
konkreten Bau wurde schliesslich erst am 13.4.2006 erteilt.
Im
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mussten die Kläger somit davon
ausgehen, dass sie eine Wohnung mieteten, welche den üblichen
innerstädtischen Einflüssen unterlag. Für sie war damals aber nicht
erkennbar, dass auf dem Nachbargelände ein Kongresszentrum mit den jetzt
realisierten Dimensionen gebaut würde.
3.3 Beeinträchtigung des Tauglichkeit der Sache
In einem nächsten
Schritt ist zu prüfen, ob durch die Bauarbeiten von Oktober 2006 bis
Oktober 2007 die Tauglichkeit der Wohnung derart beeinträchtigt oder
vermindert wurde, dass ein Mangel im Sinne von Art. 259d OR vorlag.
Das
Bundesgericht hat festgehalten, dass wegen fehlender gesetzlicher
Definition der Begriff des Mangels anhand des zum vorausgesetzten
Gebrauch tauglichen Zustandes, zu dem die Sache vermietet wurde, im
Sinne von Art. 256 Abs. 1 OR zu definieren sei; es sei ein Vergleich
zwischen dem tatsächlichen und dem vereinbarten Zustand anzustellen.
Massgebend sei der Zustand, mit welchem der Mieter nach dem Inhalt des
Vertrages vernünftigerweise rechnen durfte. Weiter komme es nicht darauf
an, ob die Störung im Einflussbereich des Vermieters liege oder nicht.
Lärm von benachbarten Baustellen stelle auch in städtischen
Verhältnissen grundsätzlich einen Mangel dar, der zu einer
Mietzinsherabsetzung berechtigen könne (BGE 4C. 377/2004 vom 2.12.2004,
in mp 2005, S. 246 ff.).
Das Kongresszentrum weist ein beträchtliches
Volumen auf und geht weit über das übliche Mass alltäglicher
innerstädtischer Bauvorhaben hinaus. Ab Juni 2006 wurden mit rund 7´500
Lastwagenfahrten insgesamt 80´000 m3 Aushub abgeführt. Die Arbeiten
gestalteten sich äusserst schwierig, weil der Untergrund aus Fels
bestand. Während Monaten wurde gefräst, gebohrt und gesprengt. Die
Geräusche, Vibrationen und Erschütterungen vom Fräsen und Bohren des
Gesteins und der Sprenglöcher übertrugen sich über den Fels auch auf die
Liegenschaft. Zudem herrschte ein ständiger Lastwagenverkehr. Die
Bagger befüllten täglich Dutzende von Lastwagen. Diese fuhren an der
Liegenschaft vorbei und warteten dort - oftmals in Kolonne – auf ihre
Beladung. Bei diesen Umständen ist klar, dass die Umgebung unter Lärm
und Abgasen zu leiden hatte. Die Darstellung der Kläger, sie hätten
wegen des Abgasgestanks und des Lärms die Fenster nicht mehr öffnen und
die Dachterrasse kaum mehr benützen können, ist glaubwürdig. Die Kläger
wurden in ihrem Bedürfnis, sich zu Hause erholen, entspannen und
unterhalten zu können, insgesamt über mehr als ein Jahr gestört.
Nachvollziehbar ist auch, dass das Nachhause-Gehen in dieser Situation
„keinen Spass“ mehr machte und dass das psychische Wohlbefinden unter
dieser lang andauernden Belastung litt. Die Wohnqualität der Kläger
verminderte sich mit Beginn des Bauprojektes stark. Plötzlich grenzte
ihre Wohnung an eine grosse Baustelle. Auf der Westseite klaffte eine
riesige Baugrube und die Umgebung war insgesamt geprägt von Lärm, Staub
und Gestank. Immissionen von solcher Intensität und derart langer Dauer
übersteigen selbst das in einer Stadt hinzunehmende Mass deutlich und
beeinträchtigten die Gebrauchstauglichkeit einer Wohnung. Der Einwand
der Streitberufenen, eine durchschnittlich empfindliche Person fühle
sich durch solche Immissionen nicht beeinträchtigt, ist unzutreffend. Es
trifft zwar zu, dass X. zu Handen der Beklagten attestierte, die
Bautätigkeit habe für keine übermässigen Immissionen gesorgt. Dieser
Einschätzung stehen jedoch die klaren objektiven Gegebenheiten
gegenüber: ein Bauvorhaben wie das vorliegende ist nach der allgemeinen
Lebenserfahrung generell mit starken Immissionen verbunden. Selbst in
den von der Beklagten sporadisch vorgenommenen Erhebungen wird von zum
Teil „sehr lauten“ Lärmbelästigungen berichtet. Von zentraler Bedeutung
ist, dass die verschiedenen Immissionen nicht nur einige wenige Wochen
dauerten, sondern dass es während mehr als eines Jahres immer wieder zu
Lärm, Staub, Gestank und Erschütterungen unterschiedlichen Ausmasses
kam. Diesen ständigen und oftmals unvermittelt auftretenden
Beeinträchtigungen konnten die Kläger kaum ausweichen. Je länger sie
dauerten, umso belastender und zermürbender wurden sie. Alles in allem
beeinträchtigten die von der Baustelle ausgehenden Immissionen die
Wohnsituation der Kläger derart stark, dass eine verminderte
Tauglichkeit im Sinne von Art. 259d OR vorlag, welche eine
Mietzinsherabsetzung rechtfertigt.
…
Aufgrund all dieser Umstände
erscheint es angemessen, den Nettomietzins im Zeitraum vom Oktober 2006
bis Oktober 2007 um 20% zu reduzieren.