Geltung von Gerichtsferien im Verfahren vor der Schlichtungsbehörde
Base légale
Nom du tribunal
Bezirksgericht Prättigau/Davos
Date
06.09.2001
Résumé
Die Kantone können für das einfache und rasche Verfahren nach Artikel 274d Absatz 1 OR die Geltung kantonalrechtlicher Gerichtsferien vorsehen. Die Gerichtsferien vereiteln die Raschheit des bundesrechtlich vorgesehenen Verfahrens nicht.
Exposé des faits
J.D. machte bei der Schlichtungsbehörde für Mietverhältnisse des Bezirks
Prättigau/Davos mit Schreiben vom 26. Februar 2001 ein Begehren um
Durchführung einer Schlichtungsverhandlung geltend. Die
Schlichtungsbehörde lud die Parteien am 22. März 2001 auf den 18. April
2001 um 15.00 Uhr zu einer Schlichtungsverhandlung ein. Am 17. April
2001 liess J.D. geltend machen, es würden Gerichtsferien herrschen. Die
Schlichtungsbehörde führte gleichwohl eine Schlichtungsverhandlung
durch. J.D. und seine Rechtsvertretung blieben der Verhandlung fern.
Mit
Beschluss vom 18. April 2001 erkannte die Schlichtungsbehörde, das
Verfahren werde durch Rückzug der Klägerschaft abgeschrieben.
Gegen
diesen Beschluss liess J.D. am 17. Mai 2001 Beschwerde einreichen und
beantragte, der Abschreibungsentscheid der Schlichtungsbehörde sei
aufzuheben.
Considérations
2.) Gemäss Art. 274d Abs. 1 OR sehen die Kantone für Streitigkeiten aus
der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen ein einfaches und rasches
Verfahren vor. Wie sich aus der Marginalie ergibt, handelt es sich
hierbei um einen "Grundsatz", der von der systematischen Stellung im
Gesetz her sowohl für das "Schlichtungsverfahren" (vgl. Marginalie zu
Art. 274e OR) als auch für das "Gerichtsverfahren" (so die Marginalie zu
Art. 274f OR) Geltung hat.
a) Mit den Art. 274ff. OR hat der
Bundesgesetzgeber in die Verfahrenshoheit der Kantone eingegriffen
(Peter Higi, Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, V.
Band: Obligationenrecht, Teilband V2b: Die Miete, Art. 271 – 274g OR, 4.
Lieferung, Zürich 1996, N 8 ff. zu Art. 274 OR). Indessen wird weder im
Gesetz selber (Wortlaut) noch in den Materialien dazu (Amtl. Bull. NR
und SR) darauf hingewiesen, dass in dem von den Kantonen vorzusehenden
einfachen und raschen Verfahren die kantonalen Bestimmungen über
Gerichtsferien keine Geltung haben dürften (Botschaft zur
Volksinitiative "für Mieterschutz", zur Revision des Miet- und
Pachtrechts im Obligationenrecht und zum Bundesgesetz über Massnahmen
gegen Missbräuche im Mietwesen (Botschaft zur Revision des Miet- und
Pachtrechts) vom 27. März 1985 (BBl 1985 I 1389; Separatdruck 85.015)).
Zwar wird dies von einem Teil der Lehre bejaht (Higi, Zürcher Kommentar,
a.a.O., N 21 und 43 zu Art. 274d OR; SVIT-Kommentar zum Schweizerischen
Mietrecht, 2. Aufl., Zürich 1998, N 3 und 13 zu Art. 274d OR), indessen
ohne dabei (vertieft) Bezug auf den Gesetzgeber zu nehmen.
b) Art.
274d Abs. 1 OR bildet keine direkt anwendbare Norm des Bundesrechts. Es
ist somit – in Einklang mit Art. 274d OR – Sache der Kantone, ein
einfaches und rasches Verfahren vorzusehen, wobei ihnen das Bundesrecht
grundsätzlich einen grossen Freiraum zugesteht (Higi, Zürcher Kommentar,
a.a.O., N 19 zu Art. 274d OR). So sind die Stände beispielsweise frei,
ein gänzlich mündliches Verfahren, innerhalb dessen die Parteien alles
vorzutragen haben, anzuordnen (Higi, Zürcher Kommentar, a.a.O., N 28 zu
Art. 274d OR; SVIT-Kommentar, a.a.O., N 4 zu Art. 274d OR; David
Lachat/Daniel Stoll/Andreas Brunner, Mietrecht für die Praxis, 4. Aufl.
Zürich 1999, S. 73, Nr. 2.5.4). Andererseits verträgt sich ein
schriftliches Verfahren mit der Möglichkeit einer Fristerstreckung für
das Erstatten von Schriftsätzen ebenfalls mit der bundesrechtlich
vorgeschriebenen Raschheit des Verfahrens (SVIT-Kommentar, a.a.O., N 4
zu Art. 274d OR). Zwischen der Abwicklung eines rein mündlichen und der
Abwicklung eines schriftlichen Schlichtungsverfahrens mit mündlicher
Hauptverhandlung können nun ohne weiteres mehrere Monate Zeitdifferenz
liegen. Vor dem Hintergrund einer derart grossen zeitlichen Bandbreite
einer möglichen Verfahrensabwicklung, bestimmt durch die Kantone, nimmt
sich die Meinung, Gerichtsferien würden die Raschheit des
bundesrechtlich vorgeschriebenen Verfahrens vereiteln, nicht überzeugend
aus. Diese Freiheit der möglichen Ausgestaltung des mietrechtlichen
Sühneverfahrens durch die verschiedenen Kantone legt demnach nahe, ein
Stand dürfe die Geltung kantonalrechtlicher Gerichtsferien vorsehen (zu
dieser Thematik vgl. auch Richard Frank, Das "einfache und rasche
Verfahren" und seine Abarten, in SJZ 84 (1988) S. 21ff.).
c) Obwohl
jener Sachverhalt mit dem gegenständlichen nicht übereinstimmt, ergibt
sich aus dem von der Schlichtungsbehörde in ihrem Entscheid erwähnten
BGE 123 III 67 (= mp 1/97, S. 59 f.) ebenfalls, dass die Gerichtsferien
vor Schlichtungsbehörden Geltung haben: Gemäss Art. 274f Abs. 1 OR hat
die Partei, welche in einem Entscheid der Schlichtungsbehörde unterlegen
ist resp. trotz Nichtzustandekommen einer Einigung auf ihrem Begehren
beharren möchte, innert 30 Tagen den Richter anzurufen. Weil es sich bei
diesen 30 Tagen um eine bundesrechtliche Klagefrist handelt, muss sich
ihre Berechnung auch nach dem Recht richten, welches die Frist setzt –
also nach Bundesrecht. Entsprechend muss diese Frist gesamtschweizerisch
einheitlich angewendet werden und es kann nicht dem kantonalen Recht
überlassen werden, den Lauf der bundesrechtlichen Frist zu bestimmen.
Somit können bundesrechtliche Klagefristen nicht über kantonale
laufhemmende Gerichtsferien erstreckt werden (BGE 123 III 97, Erw. 2a =
mp 1/97, S. 60). Wäre eine Geltung kantonalrechtlich erlassener
Gerichtsferien in Verfahren vor Schlichtungsbehörden nun von
Bundesrechts wegen ausgeschlossen, liegt die Annahme nahe, das
Bundesgericht hätte in seinem Entscheid den Hinweis auf die mögliche
Geltung kantonaler fristenlaufhemmender Gerichtsferien unterlassen und
statt dessen erwähnt, eine Erstreckung der 30tägigen Klagefrist entfalle
schon deshalb, weil in kantonalen Verfahren die Geltung von kantonalen
Gerichtsferien bundesrechtlich ausgeschlossen sei. Weil nun das
Bundesgericht aber anders argumentierte und die Möglichkeit der Geltung
kantonaler Gerichtsferien nicht nur nicht in Abrede stellte, sondern
sich in seinen Erwägungen ausdrücklich auf kantonale Gerichtsferien
bezog, darf angenommen werden, das Bundesrecht schliesse nach Auffassung
des Bundesgerichts die Geltung von kantonalrechtlichen Gerichtsferien
in Mietverfahren vor kantonalen Behörden nicht aus. Da sodann keine
Gründe ersichtlich sind, die diesbezüglich für eine Unterscheidung
zwischen Schlichtungs- und Gerichtsverfahren sprechen, ist im übrigen
davon auszugehen, dass die kantonalrechtlichen Bestimmungen über die
Gerichtsferien im Verfahren vor Schlichtungsbehörden ebenfalls Geltung
haben.
(In der Folge wird festgestellt, dass der Kanton Graubünden
von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Geltung von Gerichtsferien
im Verfahren vor seinen Schlichtungsbehörden vorzusehen. Die Beschwerde
wird demnach gutgeheissen und die Schlichtungsbehörde für
Mietverhältnisse des Bezirks Prättigau/Davos angewiesen, ausserhalb der
Gerichtsferien eine neue Verhandlung anzusetzen.)
Décision
36/8 - Geltung von Gerichtsferien im Verfahren vor der Schlichtungsbehörde