Erstreckung eines befristeten Mietverhältnisses bei Geschäftsräumen

Base légale

Nom du tribunal

Kantonsgericht Zug vom 5. Juni 2018 (EV 2018 32), bestätigt mit Entscheid des Obergerichts Zug, 1. Zivilabteilung, vom 20.Dezember 2018 (Z1 2018 18)

Date

05.06.2018

Résumé

Alleine die Vereinbarung einer kurzen Mietdauer von drei Monaten stellt für die Mieterin eine gewisse Härtesituation dar. Dies gilt selbst dann, wenn für sie während des vorherigen ebenso befristeten Mietverhältnisses absehbar war, dass ein baldiges definitives Mietende bevorsteht und anderweitige Suchbemühungen entsprechend früh eingeleitet hätten werden können (E. 3.4 und 3.7). Zum Nachweis der schwierigen örtlichen Marktverhältnisse für Geschäftsräume müssen substantiierte Ausführungen gemacht werden. Eine blosse Auflistung interessanter (nicht erhaltener) Ersatzobjekte reicht hierfür nicht aus (E. 3.5).

Exposé des faits

Seit Herbst 2016 hatten die A. AG (Vermieterin) und die B. AG (Mieterin) insgesamt drei befristete, zeitlich aufeinander folgende Mietverträge über dieselben Lagerräumlichkeiten in B. abgeschlossen. Die X. AG ist die alleinige Aktieninhaberin der Vermieterin.
Die Mieterin zeigte bereits während des ersten Mietverhältnisses (4. November 2016 bis 31. März 2017; 5 Mt.) ihr grundsätzliches Interesse am Kauf der Vermieterin. In der Folge unterzeichnete sie eine Vertraulichkeitserklärung und erhielt von der der X. AG die erforderlichen Informationen zur Prüfung eines allfälligen Investments.
Im Verlaufe des zweiten Mietverhältnisses (1. April bis 30. September 2017; 6 Mt.) teilte die Mieterin der X. AG mit, dass die kontaktierte Bank den Aktienkauf nicht finanziere, ein direkter Kauf der Liegenschaft hingegen möglich sei. Die X. AG entgegnete daraufhin, dass sie nicht nur die Liegenschaft, sondern unbedingt die Aktien verkaufen wolle. Eine Weile später gab sie der Mieterin bekannt, dass sich zwei Interessenten gemeldet hätten und diese konkrete Angebote abgeben wollen.
Innerhalb des dritten Mietverhältnisses (1. Oktober bis 31. Dezember 2017; 3 Mt.) orientierte die X. AG die Mieterin schliesslich über den Verkauf der Aktien der Vermieterin an die Genossenschaft Y., welche zusammen fusionierten. Die A. AG wurde im Handelregister gelöscht. Kurz darauf leitete die Mieterin ein Schlichtungsverfahren ein und wandte sich nach Erhalt der Klagebewilligung an das Kantonsgericht Zug. Mit ihrer Klage begehrte sie im Wesentlichen die erstmalige Erstreckung des befristeten Mietverhältnisses um ein Jahr.

Considérations

3.1 Gemäss Art. 272 Abs. 1 OR kann der Mieter die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre. Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Umstände des Vertragsschlusses und der Inhalt des Vertrags, die Dauer des Mietverhältnisses, die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten, einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters und die Dringlichkeit dieses Bedarfs sowie die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume zu berücksichtigen (Art. 272 Abs. 2 OR). Die Bestimmungen über die Erstreckung des Mietverhältnisses bezwecken, die Folgen der Vertragsauflösung für den Mieter zu mildern, indem ihm mehr Zeit für die erforderliche Neuorientierung gelassen wird. Als Härtegründe fallen daher generell nur solche Umstände in Betracht, die sich durch Gewährung einer Mieterstreckung abwenden oder wesentlich vermindern lassen. Unannehmlichkeiten (Umzug), welche Folge jeder Mietvertragsauflösung sind und mit einer Erstreckung lediglich aufgeschoben werden, sind keine Härtegründe. Ebenso wenig ist der Wunsch, so lange wie möglich von einem günstigen Mietzins profitieren zu können, ein Härtegrund. Die nach Art. 272 OR vorausgesetzte Härtesituation kann nur im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten Kriterien ermittelt werden. Der Entscheid über die Erstreckung beruht auf richterlichem Ermessen (Urteil des Bundesgerichts 4A_420/2009 vom 11. Juni 2010 E. 3; Spirig, Mietrecht für die Praxis, 9. A. 2016, N 30.5.1; Weber, a.a.O., Art. 272 OR N 3 ff.).

3.1.1 Bei der Geschäftsmiete liegt die Härte grundsätzlich in der Gefährdung des Unternehmens oder darin, dass der Umzug innert der ordentlichen Kündigungsfrist nicht möglich ist, weil zeitraubende Anpassungen im neuen Mietobjekt nötig sind, für die unter Umständen gar behördliche Bewilligungen vorliegen müssen. Dem Mieter muss grundsätzlich genügend Zeit für die notwendige Umstellung eingeräumt werden. Ein Geschäft mit ortsgebundener Kundschaft muss am neuen Ort einen neuen Kundenstamm aufbauen. Die Neupositionierung erfordert Massnahmen und kann zudem eine Veränderung der Geschäftstätigkeit bedeuten. Das Unternehmen kann bei der Geschäftsmiete schliesslich aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage gefährdet sein. Der Ertrag des Geschäfts und seine Reserven geben Auskunft, in welcher Höhe der Mietzins für ein Ersatzobjekt verkraftbar ist und welche Investitionen am neuen Ort zumutbar sind (Spirig, a.a.O., N 30.6.8; SVIT-Kommentar Schweizerisches Mietrecht, 3. A. 2008, Art. 272 OR N 39 ff.).

3.1.2 Für das Kriterium der Umstände bei Vertragsabschluss (Art. 272 Abs. 2 lit. a OR) ist bei befristeten Mietverträgen entscheidend, ob der Mieter bei Vertragsabschluss über die Umstände informiert worden ist, die sein Mietverhältnis zeitlich begrenzen. Der Vermieter muss die Gründe so konkret angegeben haben, dass für den Mieter das Ende des Mietverhältnisses bereits bei Vertragsabschluss absehbar war. Wer einen zeitlich begrenzten Vertrag abschliesst, muss sich von Anfang an auf einen Wegzug nach Ablauf der Vertragsdauer einstellen und rechtzeitig Ersatz suchen. Deshalb wird die Erstreckung bei einem befristeten Mietverhältnis generell zurückhaltender gewährt als bei einem unbefristeten. Hat der Vermieter jedoch in Aussicht gestellt, dass der Vertrag über die Befristung hinaus weitergeführt werden könne, sich später aber doch anders entschieden, gibt es keinen Grund mehr für eine zurückhaltende Erstreckungspraxis. Ausserdem können sich die Verhältnisse im Laufe der Mietdauer verändern und neue, bei Vertragsabschluss noch nicht bekannte Tatsachen auftreten, die eine Härte begründen (Spirig, a.a.O., N 30.6.2; SVIT Kommentar, a.a.O., Art. 272 OR N 13; Weber, a.a.O., Art. 272 OR N 7).

3.1.3 Ist ein Ersatzobjekt aufgrund der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume (Art. 272 Abs. 2 lit. e OR) nur schwierig zu finden, spricht dies für eine Erstreckung. Dies gilt ganz besonders, wenn die noch erhältlichen Geschäftsräume überdurchschnittlich teuer oder schlecht gelegen sind. Der Mieter muss die schwierigen Verhältnisse auf dem örtlichen Markt beweisen, wobei insbesondere lokale Statistiken über den Bestand an Leerwohnungen ein dafür geeigneter Beleg sind. Da es für Geschäftsräume keine amtlichen Statistiken über den Leerstand gibt, muss der Mieter anhand seiner Suchbemühungen oder mit Bestätigungen und Zeugenaussagen von anderen Unternehmern aus der Branche eine angespannte Situation auf dem örtlichen Markt beweisen. Massgebend ist der Ort, an dem sich das bisherige Mietobjekt befindet. Die Prüfung kann sich aber auch auf angrenzende Ortschaften bzw. die ganze Region ausdehnen. Von einem Geschäftsmieter werden besonders intensive Bemühungen verlangt. Je grösser das Unternehmen ist, desto professioneller muss die Suche angegangen werden. Für die Suche von Ersatzobjekten mit ungewöhnlichen Eigenschaften darf der Beizug eines in diesem Bereich spezialisierten Maklers verlangt werden, sofern der Geschäftsmieter über entsprechende Ressourcen verfügt. In einer ersten Zeit darf sich der Mieter auf gleichwertigen Ersatz konzentrieren (Spirig, a.a.O., N 30.6.6 und 30.6.7; Weber, a.a.O., Art. 272 OR N 12 f.).

3.1.4 Der Eigenbedarf des Vermieters muss – selbst wenn er nicht dringend ist – von Gesetzes wegen bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden (Art. 272 Abs. 2 lit. d OR). Er verkürzt die Erstreckungsdauer nach dem Grad seiner Dringlichkeit. Der Eigenbedarf muss konkret und aktuell sein. Ein künftiger oder hypothetischer Bedarf genügt nicht. Bei einem Geschäftsvermieter ist der Eigenbedarf dann dringlich, wenn der Vermieter Interesse daran hat, seine wirtschaftliche Tätigkeit selbst in den Geschäftsräumen auszuüben und dafür keine nennenswerten Umbauten erforderlich sind. Sind für die Realisierung des Eigenbedarfs dagegen grössere Bauarbeiten notwendig, allenfalls sogar der Abriss des Gebäudes und die Errichtung eines Neubaus, hängt die Dringlichkeit von der Konkretisierung der Umbaupläne ab. Es ist aber nicht erforderlich, dass behördliche Bewilligungen für die Bauten bereits vorliegen. Im Rahmen der Erstreckung kann der so definierte dringende Eigenbedarf die Härtegründe des Mieters erst überwiegen, wenn der Vermieter über die behördliche Baufreigabe verfügt (Spirig, a.a.O., N 30.7.4; Weber, a.a.O., Art. 272 OR N 11).

3.2 Die Mieterin führt zur beantragten Erstreckung aus, das Ende des Mietverhältnisses löse für sie eine Härte aus, die sich durch die Interessen der Genossenschaft Y. nicht rechtfertigen lasse. Es seien insbesondere die Drittinteressen ihrer Arbeitnehmer betroffen, da die in ihren Geschäftsräumlichkeiten beschäftigten zwanzig Arbeitnehmer ihre Arbeitsstelle verlieren würden. Die Mieterin sei zudem stets gutgläubig gewesen und habe berechtigtes Vertrauen gehabt, dass sie während den Vertragsverhandlungen als Mieterin und später als Eigentümerin in den Geschäftsräumlichkeiten verbleiben dürfe. Sie habe mit der Genossenschaft Y. noch vor Beginn des Mietverhältnisses Verkaufsverhandlungen geführt. Die Liegenschaft erwerben zu können, sei für die Mieterin eine conditio sine qua non für das Eingehen des Mietverhältnisses gewesen. Für die Mieterin habe kein Zweifel daran bestanden, dass sie die Geschäftsräumlichkeiten erwerben würde. Das Mietverhältnis sei zweimal im Hinblick auf den Verkauf an die Mieterin verlängert worden. Über den Verkauf der Aktien habe die Genossenschaft Y. die Mieterin erst mit Schreiben vom 27. Oktober 2017 informiert, mithin nachdem die Parteien den jüngsten Mietvertrag unterzeichnet hätten. Die Mieterin habe sodann intensive Bemühungen getätigt, ein Ersatzobjekt zu finden. Dabei habe die Mieterin sämtliche Ersatzobjekte in Betracht gezogen, die aufgrund ihrer Bedürfnisse insbesondere hinsichtlich des Standortes, der Grösse sowie des Mietzinses zumutbar seien. Darüber hinaus habe die Mieterin ihre Suchkriterien bei ihren Suchbemühungen deutlich gelockert. Ausserdem habe sie professionelle Drittunternehmen mit der Raumsuche beauftragt. Demgegenüber verfolge die Genossenschaft Y. nur finanzielle Interessen. Sie habe kein Interesse daran, das Mietverhältnis zur Mieterin nicht fortzuführen, da sie insbesondere Mietzins erhalte. Ebenso wenig bestehe Dringlichkeit.
Dem entgegnet die Genossenschaft Y., der Mieterin sei beim Abschluss des dritten Mietvertrages völlig bewusst gewesen, dass dieser aufgrund des anstehenden Verkaufs der Vermieterin an eine Drittpartei bis am 31. Dezember 2017 befristet werde. Die vorübergehend leerstehenden Mieträumlichkeiten seien der Mieterin ausdrücklich für eine befristete Dauer zu besonders günstigen Konditionen überlassen worden. Es seien keine Umstände erkennbar, welche es der Mieterin erlaubt hätten, von einem über die Befristung hinausgehenden Mietverhältnis und/oder vom Abschluss eines weiteren (befristeten) Mietverhältnisses auszugehen. Bereits im Sommer 2017 sei der Mieterin bewusst gewesen, dass sie die Vermieterin nicht werde erwerben können. Die Mieterin hätte deshalb rechtzeitig Bemühungen um eine umgehende und lückenlose Ersatzlösung unternehmen müssen. Im Gegensatz dazu versuche sie nun mittels einer haltlosen Erstreckungsklage eine kalte Erstreckung zu erwirken, damit sie nahtlos in ihr projektiertes Kaufobjekt einziehen könne. Ein solches Verhalten verdiene keinen Rechtsschutz. Da die Mieträumlichkeiten der Mieterin lediglich als Lager für Leerpaletten und nicht als Produktionsstätte dienten, habe sie keine oder zumindest keine aufwendigen Aus- /Umbauten vornehmen müssen. Auch bei einem Ersatzobjekt würden grosse Umbauarbeiten nicht notwendig sein. Folglich sei keine lange Vorbereitungszeit nötig und ein Umzug nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Bezüglich der Vermieterinteressen sei vorzubringen, dass die dringende Sanierung der Liegenschaft keinen Aufschub zulasse, da die Liegenschaft nachweislich Schaden nehmen könne. Die gleichzeitige Benützung der Liegenschaft als Lager durch die Mieterin sei während der Sanierung und dem geplanten Umbau nicht möglich, da insbesondere auch das Dach sanierungsbedürftig sei. Die Genossenschaft Y. werde die Liegenschaft nach erfolgter Sanierung und dem Umbau (grösstenteils) selber nutzen und insbesondere den neuen Y. B. Laden und die neue Y. B. (inkl. Produktion sowie Agrarhandel und Verwaltung) mit ca. 20 bis 25 Mitarbeitenden eröffnen.
Für die Interessenabwägung sind zunächst die Umstände des Vertragsabschlusses und der Inhalt des Vertrags zu berücksichtigen (Art. 272 Abs. 2 lit. a OR).

3.3.1 Musste der Mieter schon bei Vertragsabschluss von der begrenzten Dauer des Mietverhältnisses ausgehen und wurde er vom Vermieter über die diesbezüglich relevanten Umstände informiert, so spricht dies gegen die Gewährung einer Erstreckung. Vorliegend schlossen die Parteien zunächst einen befristeten Mietvertrag von fünf Monaten und im Anschluss zwei befristete Mietverträge von sechs bzw. noch drei Monaten ab. Die Befristung der Mietverträge wurde ausdrücklich mit der anstehenden Veräusserung der Liegenschaft begründet. Die Mieterin musste bereits aus der Tatsache, dass die Mietverträge mit ihr lediglich befristet und für jeweils nur sehr kurzer Dauer abgeschlossen wurden, damit rechnen, nicht dauerhaft im gemieteten Objekt verbleiben zu können. Der Grund für die Befristung wurde sodann explizit in den Mietverträgen erwähnt und war jedenfalls bei Unterzeichnung des letzten Mietvertrags durch die Genossenschaft Y. noch aktuell und zutreffend. Die Mieterin bestreitet zudem nicht, vom anstehenden Verkauf der gemieteten Liegenschaft gewusst zu haben, sie bringt jedoch vor, stets davon ausgegangen zu sein, die Liegenschaft selbst erwerben zu können. Dafür müsste die Genossenschaft Y. eine Situation geschaffen haben, die bei der Mieterin berechtigtes Vertrauen geweckt hätte, das Mietobjekt als einzige Interessentin kaufen und als Eigentümerin in der Liegenschaft verbleiben zu können.

3.3.2 Dass die Mieterin mit der X. AG Kaufverhandlungen führte, ist erstellt. Insbesondere unterzeichnete die Mieterin im März 2017 für nähere Informationen über die Vermieterin eine Vertraulichkeitserklärung, die ausdrücklich festhielt, in Frage stehe eine Übernahme der Vermieterin als Gesellschaft. Darauf informierte die Mieterin die X. AG Mitte Mai 2017, die [Bank1] finanziere lediglich den Kauf der Liegenschaft, nicht aber den Kauf der Aktien der Vermieterin. Da die Mieterin ohnehin primär am Grundstück interessiert war, schlug sie der X. AG einen Miet-Kaufvertrag vor und übersandte ihr Ende Mai 2017 einen Entwurf dazu. Mit E-Mail vom 15. Juni 2017 hielt die X. AG gegenüber der Mieterin fest, sie wolle unbedingt die Aktien der Vermieterin – und nicht bloss das Grundstück – verkaufen, weitere Verhandlungen mit der Mieterin erachte sie nur unter Vorweisung eines Finanzierungsnachweises als sinnvoll und es hätten sich inzwischen mehrere weitere Interessenten gemeldet. An der Parteibefragung sagte die Mieterin im Rahmen der Ergänzungsfragen der Rechtsvertreter aus, die E-Mail vom 15. Juni 2017 nie erhalten zu haben. Zunächst beantwortete sie aber Fragen des Einzelrichters zu dieser E-Mail ohne Hinweis darauf, diese nicht erhalten zu haben. Die Mieterin hielt dabei insbesondere fest, dass sie auf die E-Mail vom 15. Juni 2017 nochmals mit der [Bank1] gesprochen habe und ihr mitgeteilt worden sei, dass die Anfrage nochmals geprüft werde. Die Mieterin schilderte mithin eine eigene unmittelbare Reaktion auf die E-Mail vom 15. Juni 2017, was voraussetzt, dass sie von dieser auch Kenntnis genommen hat. Die Behauptung, die E-Mail nicht erhalten zu haben, überzeugt schon aus diesem Grund nicht. Sodann legte die Mieterin nicht dar, dass sie von der Genossenschaft Y. in anderer Form Antwort auf ihre Anfrage betreffend Miet-Kaufvertrag erhalten hätte. Hätte sie die E-Mail vom 15. Juni 2017 tatsächlich nicht erhalten, wäre das Angebot der Mieterin aus ihrer Sicht mithin einfach unbeantwortet geblieben. Es ist nicht zu erwarten, dass sich eine professionell beratene Kaufinteressentin mit einer solchen Situation zufriedengegeben und einfach zugewartet hätte. Da die Mieterin das Nichterhalten der E-Mail im Übrigen nicht erklären konnte und die E-Mail sowohl an die Adresse der Mieterin wie auch an die Adresse von Z. – der zu diesem Zeitpunkt im Auftrag der Mieterin in die Verhandlungen involviert war – gesandt wurde, erscheint der Standpunkt der Mieterin nicht glaubhaft.
Die Mieterin konnte mithin spätestens seit dem 15. Juni 2017 nicht mehr darauf vertrauen, das Mietobjekt erwerben zu können. Dies gilt auch deshalb, weil die X. AG offen kommunizierte, auch mit anderen Interessenten in Verhandlungen zu stehen. Darüber informierte sie die Mieterin nicht nur am 15. Juni 2017, sondern auch mit E-Mail vom 19. August 2017. Die E-Mail vom 15. Juni 2017 ist für diese Schlussfolgerung im Übrigen gar nicht (allein) entscheidend. Die Vertraulichkeitserklärung und die von der Mieterin zunächst geprüfte Finanzierungsstrategie belegen, dass die X. AG die Vermieterin und nicht nur die Liegenschaft alleine verkaufen wollte. Dass sie auch nur zu letzterem bereit gewesen wäre, ist nicht nachgewiesen. Der von der Mieterin beabsichtigte Miet-Kaufvertrag erscheint daher von Beginn weg als aussichtslos.

3.3.3 Dass die Mieterin nach dem 15. Juni 2017 noch ernsthafte Kaufverhandlungen mit der X. AG geführt hätte, kann sie nicht nachweisen. Zwar erklärte sie an der Parteibefragung, sie habe nach der Absage der [Bank1] auch mit der [Bank2] und der [Bank3] nach einer Finanzierungslösung gesucht. Dies kann sie jedoch nicht belegen. Im Übrigen hätten offenbar auch die [Bank2] und die [Bank3] lediglich den Erwerb des Grundstücks und nicht der Aktien der Vermieterin finanziert. Selbst wenn belegt wäre, dass die Mieterin bei weiteren Banken um eine Finanzierung nachsuchte, durfte sie also nicht davon ausgehen, als zukünftige Eigentümerin im Mietobjekt verbleiben zu können, zumal die X. AG klar kommunizierte, lediglich am Verkauf der Aktien interessiert zu sein und auch mit weiteren Interessenten in Verhandlungen zu stehen. Im Ergebnis hat sich die Vermieterin beim Abschluss der befristeten Mietverträge nicht so verhalten, dass die Mieterin berechtigterweise davon hätte ausgehen dürfen, als Mieterin oder Eigentümerin über die Befristung hinaus im Mietobjekt verbleiben zu können. Die Umstände des Vertragsabschlusses und der Inhalt des Vertrages sprechen somit gegen eine Erstreckung.

3.4 Weiter sind bei der Interessenabwägung die Dauer des Mietverhältnisses und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien massgebend (Art. 272 Abs. 2 lit. b und c OR).
Die befristeten Mietverträge wurden jeweils nur für kurze Dauer abgeschlossen und umfassen zusammen einen Zeitraum von lediglich 14 Monaten. Die kurze Mietdauer gibt einen Hinweis darauf, dass ein Umzug für die Mieterin keine spürbare Umstellung bedeutet. Der letzte und bis zum 31. Dezember 2017 befristete Mietvertrag wies aber lediglich eine Dauer von drei Monaten auf. Selbst wenn die Mieterin gleich zu Beginn des kurzen Mietverhältnisses mit der Suche nach einem geeigneten Ersatzobjekt begonnen hätte, wäre ihr somit nicht viel Zeit für die Suche geblieben. Mithin ist der Mieterin zuzugestehen, dass die kurze Dauer des letzten Mietvertrages für eine besondere Härtesituation und damit für eine Erstreckung des Mietverhältnisses spricht. Gegen eine längere Erstreckung aus diesem Grund spricht indes, dass die Mieterin mangels aussichtsreichen Finanzierungskonzepts spätestens ab dem 15. Juni 2017 nicht mehr mit dem Erwerb der Liegenschaft rechnen durfte und von einem baldigen definitiven Ende des Mietverhältnisses ausgehen musste. Vor dem Ablauf des dritten Mietvertrags stand der Mieterin effektiv mithin ein längerer Zeitraum für die Suche nach einem Ersatzobjekt zur Verfügung. Zudem hat die Mieterin im Mietobjekt nur geringe Investitionen getätigt, indem sie für ein paar tausend Franken einige Sachen repariert oder abgedeckt hat. Welche Umbauarbeiten in einem neuen Mietobjekt gemacht werden müssten, kann sie nicht genau darlegen. Da die Mieterin ihr Gewerbe in B. jedenfalls ohne hohe Investitionen ausüben konnte, ist davon auszugehen, dass sie dies auch an einem neuen Standort ohne grosse Vorarbeiten wird tun können. Der klägerische Betrieb unterliegt im Grundsatz auch keiner behördlichen Bewilligung, da die Mieterin in B. offenbar auch ohne Bewilligung tätig ist. Schliesslich bringt die Mieterin nicht vor, ihre wirtschaftliche Lage würde einen Umzug nicht verkraften. Vielmehr hat sie offenbar ohne Mietzinsobergrenze nach einem geeigneten Ersatzobjekt gesucht. Diese Tatsachen sprechen eher gegen eine besondere Härtesituation und damit gegen eine Erstreckung.

3.5 Ferner sind die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Geschäftsräume und die Suchbemühungen der Mieterin in die Interessenabwägung einzubeziehen (Art. 272 Abs. 2 lit. e OR).

3.5.1 Kann die Mieterin nachweisen, dass sie trotz intensiver und geeigneter Suchbemühungen noch kein gleichwertiges Ersatzobjekt gefunden hat, so spricht dies für eine Erstreckung. Dabei muss die Mieterin zunächst die schwierigen Verhältnisse auf dem örtlichen Markt darlegen. Da für Geschäftsliegenschaften – im Gegensatz zu Wohnräumen – keine Statistiken über den Leerbestand an Objekten erstellt werden, hat die Mieterin den Mangel an vergleichbaren Geschäftsräumen anderweitig zu beweisen: Sie listet in ihren Rechtschriften zwar zahlreiche Objekte auf, für die sie sich offenbar interessiert hat, sie macht aber keine substantiierten Ausführungen dazu, ob der für sie relevante Markt für Geschäftsräume grundsätzlich angespannt ist. Die Mieterin sucht sodann nach einem Ersatzobjekt mit einer Mietfläche von mindestens 2000 m2, am Standort in B. und Umgebung (insbesondere ganzer Kanton Zug, Muri und Kanton Schwyz) und zu einem unbeschränkten Mietzins oder einem Kaufpreis bis Fr. 650.- pro m2. Diese Kriterien an ein Ersatzobjekt weisen nichts Besonderes auf. Die schwierigen Marktverhältnisse sind damit auch aus den Suchbemühungen der Mieterin nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Im Ergebnis hat die Mieterin den örtlichen Markt für Geschäftsliegenschaften nicht substantiiert umschrieben und weist nicht nach, dass überhaupt Mangel an für sie geeigneten Geschäftsräumen herrscht. Soweit die Mieterin aus der Produktion von Paletten zusätzliche Anforderungen an ein Ersatzobjekt ableitet (namentlich betreffend Nutzlast und Immissionen), ist sie damit nicht zu hören, da es sich dabei um neue Kriterien handelt, welche für das bestehende Mietverhältnis mit der Genossenschaft Y. bzw. deren Rechtsvorgängerin [Vermieterin] nicht einvernehmlich vereinbart waren (s. nachfolgend E. 3.5.2).

3.5.2 Wie die Mieterin an der Parteibefragung aussagte, verfügt sie über mehrere Anlagen zur Produktion von Paletten, die sich zurzeit – neben ihrem Standort in B. – in Gebäuden in R. und S. befinden. In R. kann die Mieterin ihre Geschäftstätigkeit nur noch bis Ende Jahr ausüben, da die Geschäftsliegenschaft abgerissen wird. Die Produktionsanlage in S. wurde lediglich untergestellt und die Mieterin darf an diesem Ort nicht produzieren, da sich das Gebäude mitten im Dorf befindet. Neu sollen die Anlagen aus B., R. und S. an einen Ort zusammengezogen werden, damit die Mieterin in der Deutschschweiz nur noch über einen Standort verfügt. Im aktuellen Mietobjekt in B. befindet sich jedoch lediglich die Anlage zur Produktion von Spezialanfertigungen. Da im neuen Objekt mithin drei Anlagen Platz haben müssen, sind die Anforderungen an ein Ersatzobjekt gegenüber dem streitgegenständlichen Mietobjekt bereits deswegen – zumindest flächenmässig und betreffend Nutzlast – erhöht. Überdies wurde in den Mietverträgen zwischen den Parteien als Nutzungsart der Geschäftsräume die «Lagerung von Leerpaletten und dazugehörende Betriebsmittel sowie der Umschlag von Ware» vereinbart, nicht aber die Produktion von Paletten mittels Einsatz schwerer Maschinen. Die Mieterin montierte im Mietobjekt aber von Beginn weg Paletten mit einer Anlage. Dass zwischen den Parteien eine solche Nutzung der Liegenschaft vereinbart worden wäre, wird von der Genossenschaft Y. bestritten und kann die Mieterin nicht nachweisen. Da die Mieterin dazu auch keine Beweismittel offeriert, kann auf die entsprechende Behauptung nicht abgestellt werden. Mithin war die Produktion der Paletten vom Mietverhältnis nicht umfasst. Gerade diese verursacht aber offenbar den grossen Lärm, wegen welchem die Mieterin zahlreiche Absagen für Ersatzobjekte erhalten hat. Mithin stellt die Mieterin nicht nur im Umfang, sondern auch bezüglich der Eigenschaften an ein Ersatzobjekt erhöhte Anforderungen. Suchbemühungen nach einem solchen Gewerberaum können für die Interessenabwägung im vorliegenden Erstreckungsverfahren nicht berücksichtigt werden, da sie über das hinausgehen, was im Mietvertrag zwischen den Parteien vereinbart worden ist. Schliesslich beziehen sich die meisten der von der Mieterin vorgebrachten Anfragen auf den Kauf und nicht auf die Miete eines Ersatzobjekts. Die Miete wäre aber wohl kurzfristiger möglich und für die Mieterin zweckmässiger gewesen, zumal sie aufgrund des kurzen befristeten Mietvertrages frühzeitig um ein Ersatzobjekt hat besorgt sein müssen.

3.5.3 Zusammenfassend hat die Mieterin die schwierigen Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Geschäftsräume nicht genügend dargetan. Da ihre Suchbemühungen sodann überwiegend auf Objekte zielen, die über die Eigenschaften des streitgegenständlichen Mietobjekts hinausgehen, können sie bei der vorliegenden Interessenabwägung nicht berücksichtigt werden. Im Ergebnis sprechen das Kriterium der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume und die Suchbemühungen der Mieterin gegen eine längere Erstreckung.

3.6 Schliesslich sind der Eigenbedarf des Vermieters sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs für die Interessenabwägung relevant (Art. 272 Abs. 2 lit. d OR).
Die Genossenschaft Y. muss nachweisen, dass sie einen konkreten und aktuellen Eigenbedarf am Mietobjekt hat. Auf dem streitgegenständlichen Grundstück möchte die Genossenschaft Y. einen Neubau mit einem […] Supermarkt, Lagermöglichkeiten, einem Agrarabhollager, Ausstellungs- und Produktionsflächen, Büroverwaltungen sowie Parkplätzen für den Betrieb des Ladens realisieren. Dafür reichte sie Anfang April 2018 das Baugesuch ein, welches am 13. und 20. April 2018 im Amtsblatt publiziert wurde. Die Genossenschaft Y. legte an der Parteibefragung dar, dass sie für die Sanierungsarbeiten einen Businessplan erstellt hat, was für ein Bauprojekt dieser Grösse plausibel ist und von der Mieterin auch nicht bestritten wurde. Mit dem Beginn der Bauarbeiten rechnet die Genossenschaft Y. per Mitte Mai 2018. Die Eröffnung des […] Ladens ist für so rasch als möglich bzw. allerspätestens Ende 2018 geplant, was die Mieterin ebenfalls nicht bestreitet. Nachvollziehbar ist schliesslich die Aussage der Genossenschaft Y., dass bei den Abbrucharbeiten die Zufahrten zum Gelände stark eingeschränkt würden und bei einem Verbleib der Mieterin im Mietobjekt für die Dauer der Bauarbeiten das Projekt viel aufwändiger würde und Mehrkosten entstehen würden, weil man auf die Mieterin Rücksicht nehmen müsste. Entgegen der Ansicht der Mieterin ist es in dieser Situation nicht an der Genossenschaft Y., «allfällige Alternativszenarien durchzuspielen», sondern die Mieterin hätte substantiiert darlegen und beweisen müssen, dass ihr Verbleib im Mietobjekt das Bauprojekt nicht beeinträchtigen oder verteuern würde. Zu berücksichtigen ist immerhin, dass die Genossenschaft Y. im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vom 27. April 2018 unstrittig noch nicht über die Baufreigabe verfügte. Die Parteien brachten indes nicht vor, es seien Einsprachen gegen das Bauprojekt erfolgt oder noch zu erwarten. Gründe, weshalb die Genossenschaft Y. ihr Bauprojekt nicht plangemäss wird realisieren können, sind denn auch nicht ersichtlich. Zusammengefasst ist demnach festzuhalten, dass die Genossenschaft Y. einen konkreten und aktuellen Eigenbedarf am Mietobjekt hat, dieser aber nicht so dringlich ist, dass eine Erstreckung nicht in Betracht käme.

3.7 Im Ergebnis sprechen insbesondere die Umstände des Vertragsabschlusses, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume gegen eine Erstreckung. Die kurze Dauer des Mietverhältnisses spricht grundsätzlich ebenfalls gegen eine besondere Härtesituation, da der Umzug für die Mieterin keine spürbare Umstellung bedeutet. Andererseits blieb der Mieterin wenig Zeit für die Suche nach einem geeigneten Ersatzobjekt. Darin ist eine gewisse Härte zu erblicken. Sodann hat die Genossenschaft Y. ihren Eigenbedarf nachgewiesen, welcher sich aber frühestens ab Mai 2018 akzentuiert. Unter Abwägung sämtlicher Kriterien erscheint es gerechtfertigt, das am 31. Dezember 2017 endende Mietverhältnis zwischen den Parteien um vier Monate, d.h. bis zum 30. April 2018, zu erstrecken. Schliesslich rechtfertigen die Interessen der Parteien lediglich eine einmalige – und nicht wie von der Mieterin beantragt eine erstmalige – Erstreckung des Mietverhältnisses: dies insbesondere, da der Genossenschaft Y. selbst im Falle des möglichen Fortbestandes der Härte für die Mieterin eine weitere Erstreckung nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_62/2010 vom 13. April 2010 E. 6.1.2 f.). Mithin endete das Mietverhältnis zwischen den Parteien definitiv am 30. April 2018.


Décision

59/10 - Erstreckung eines befristeten Mietverhältnisses bei Geschäftsräumen

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