Beweislastverteilung
Base légale
Nom du tribunal
Obergericht des Kantons Aargau
Date
12.11.2002
Résumé
Ein Beweislastvertrag, mit welchem die aus Artikel 8 ZGB bzw. Artikel 256 OR folgende Beweislast der Vermieterschaft für den Zustand der Mietsache bei der Übergabe auf die Mieterschaft überwälzt wird, ist unzulässig.
Exposé des faits
Die Beklagten bewohnten bis am 31. Dezember 2000 ein Einfamilienhaus in
H. Nach Übergabe der Liegenschaft gelangte die Vermieterschaft an die
Schlichtungsbehörde und verlangte die Zahlung von Fr. 6'279.75.– für
durch die Mietenden verursachte Schäden. In einer späteren Verhandlung
–und nach Eingang einer Versicherungsleistung– reduzierte sie die
Forderung auf Fr. 1’414.50.–. Vor Schlichtungsbehörde wurde keine
Einigung erzielt. Die Vermieterschaft gelangte deshalb ans
Bezirksgericht Bremgarten. Dieses verpflichtete die Mietenden zur
Zahlung von Fr. 1’411.45 nebst Zins. Gegen diesen Entscheid reichte die
Mieterschaft Appellation ein.
Considérations
Will der Vermieter die Haftung des Mieters aus Art. 267 Abs. 1 OR in
Anspruch nehmen, muss er beweisen, dass er einen Schaden erlitten hat
und dass der Schaden durch einen Mangel an der Mietsache entstanden ist,
der während der Mietdauer eingetreten ist und für welchen der Mieter
einzustehen hat (Peter Higi, Zürcher Kommentar, N 119 zu Art. 267 OR).
Der Vermieter muss somit nicht nur beweisen, dass die Mietsache Mängel
aufweist, für welche der Mieter aufzukommen hat, sondern auch, dass
diese Mängel bei Mietbeginn noch nicht vorhanden waren, das heisst, dass
er die Mietsache in einem guten bzw. mängelfreien Zustand übergeben hat
(Lachat/ Stoll/Brunner, Mietrecht für die Praxis, 4. Aufl., Zürich
1999, S. 601 f.). [...]
Die Klägerin verwies in ihrem
Antwortschreiben vom 18. Januar 2001 auf Ziff. 9.1 des Mietvertrags,
wonach der Mieter verpflichtet ist, allfällige Mängel innert 10 Tagen zu
melden, andernfalls das Mietobjekt als in gutem Zustand übernommen
gelte. Damit ist die Frage gestellt, ob diese Vertragsklausel gültig
ist.
Es handelt sich bei dieser Klausel um einen Beweislastvertrag,
mit welchem die aus Art. 8 ZGB bzw. Art. 256 OR folgende Beweislast des
Vermieters für den Zustand der Mietsache bei Übergabe auf den Mieter
überwälzt wird. Die Zulässigkeit solcher Verträge ist umstritten. Im
Allgemeinen wird sie unter Vorbehalt von Art. 27 ZGB bzw. Art. 20 OR
bejaht, soweit die Parteien über das fragliche Rechtsverhältnis
disponieren können (BGE 85 II 504; Hans Schmid, Basler Kommentar, N 91
zu Art. 8 ZGB mit Hinweisen). Max Kummer führt dagegen in seinem
Kommentar zu Art. 8 ZGB aus, der die Beweislast Übernehmende wolle nicht
auf ein Recht verzichten, sondern setze sich vielmehr einem erhöhten
Prozessrisiko aus, dessen Bedeutung er meist gar nicht zu überschauen,
geschweige denn zu ermessen vermöge und dessen Verwirklichung er nicht
erwäge, weil er weder mit einem Prozess und noch weniger mit einer
Beweislosigkeit rechne. Solche Verträge seien daher höchst bedenklich
und ihre Gültigkeit sei abzulehnen. Zudem habe die vom Gesetz getroffene
Beweislastverteilung nicht bloss die Qualität ergänzenden
Vertragsrechts oder inhaltlicher Festlegung der gegenseitigen Rechte und
Pflichten, die in weitem Rahmen ausgehandelt werden könnten. Sie stehe
ungleich höher und müsse privater Willkür überhoben sein, weil sie die
allein angemessene und gerechte Regelung zu sein beanspruche und
beanspruchen könne und weil jede Beweislastumkehr unbegründeten
Ansprüchen zum Prozesssieg verhelfen könne (Max Kummer, Berner
Kommentar, N 376 zu Art. 8 ZGB). Weiter führt er aus, auf dem Boden der
herrschenden Meinung sei jedenfalls zu beachten, dass das Zuschieben der
Beweislast sehr bald in unsittliche Knebelung ausarte. Die
Unsittlichkeit sei evident, wenn der eine Partner kraft seines sozialen
Übergewichts, seines Marktmonopols oder seiner verbandsmässig
geschützten Stellung dem andern die Geschäftsbedingungen diktieren könne
und sich hierbei Beweislastvorteile erwirke. Diktierte Abkehr von der
gesetzlichen Beweislastverteilung zum Nachteil des in der Verhandlung
Schwächeren sei aus den vorgenannten Gründen schlechthin untragbar, was
BGE 85 II 504 völlig verkenne (Kummer, a.a.O., N 377 zu Art. 8 ZGB).
Ob
diesen gewichtigen Argumenten von Max Kummer für eine generelle
Unzulässigkeit von Beweislastverträgen zu folgen ist, mag hier offen
bleiben. Im Bereich des Mietrechts kann davon ausgegangen werden, dass
wegen der beschränkten Möglichkeiten der Mieter, auf wirtschaftlichen
und anderen Druck zu reagieren, zwischen den Mietvertragsparteien ein
starkes Ungleichgewicht zu Ungunsten der Mie-ter besteht, sodass die
Vermieter dazu verleitet werden, ihre Vormachtstellung gegenüber den
Mietern missbräuchlich auszunutzen (Botschaft des Bundesrats zur
Revision des Miet– und Pachtrechts vom 27. März 1985, BBI 1985 I 1398).
Deshalb ist das geltende schweizerische Mietrecht wesentlich Sozialrecht
mit dem hauptsächlichen Ziel eines verstärkten staatlichen Schutzes der
Mieter vor missbräuchlichen Forderungen der Vermieter (BBI 1985 I 1397;
Lachat/Stoll/Brunner, a.a.O., S. 2 mit Hinweisen; SVIT–Kommentar
Mietrecht II, N 29 zu Art. 256 OR). Die fragliche Vertragsklausel im
Mietvertrag der Parteien ist nun aber nachgerade ein Paradebeispiel für
die "diktierte Abkehr" von der gesetzlichen Beweislastverteilung zum
Nachteil der schwächeren Vertragspartei und aus diesem Grund nicht zu
schützen.
Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber bei der letzten
Revision des Mietrechts im Jahre 1989 die altrechtliche Vermutung, dass
der Mieter die Mietsache in gutem Zustand empfangen habe, gestrichen
hat. In der Botschaft wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es Aufgabe
des Vermieters sei, die Mietsache in gutem Zustand zu übergeben und sie
während des Mietverhältnisses in demselben zu erhalten. Es sei deshalb
nicht vertretbar, wenn dem Mieter die Beweislast für eine Verpflichtung
auferlegt werde, die den Vermieter treffe (BBI 1985 I 1455). Wenn aber
der Gesetzgeber mit guten Gründen auf eine Umkehr der Beweislast, welche
durch die altrechtliche Vermutung herbeigeführt worden war,
ausdrücklich verzichtet, geht es nicht an, diese durch Vertrag wieder
einzuführen (a.M. SVIT–Kommentar Mietrecht II, N 32 zu Art. 267 – 267a
OR). Vielmehr hat der Vermieter die Folgen zu tragen, wenn der
ursprüngliche Zustand der Mietsache nicht mehr bewiesen werden kann (BBI
1985 I 1456).
Dafür spricht auch, dass es sich bei Art. 256 OR,
welcher die Hauptverpflichtung des Vermieters statuiert, um eine
zwingende Bestimmung des Mietrechts handelt, welche zum Nachteil des
Mieters nicht vertraglich eingeschränkt oder gar wegbedungen werden
darf, d.h. der Parteidisposition entzogen ist (Peter Higi, Zürcher
Kommentar, N 4 zu Art. 256 OR; SVIT–Kommentar Mietrecht II, N 6 und 7 zu
Art. 256 OR), und dass sich das Verbot der abweichenden Bestimmungen
zum Nachteil der Mieter nicht nur auf die eigentliche
Hauptleistungspflicht des Vermie-ters, sondern auf alle vertraglichen
und gesetzlichen Bestimmungen, die an die Hauptleistungspflicht des
Vermieters anknüpfen, auswirken (Higi, a.a.O., N 68 zu Art. 256 OR;
SVIT–Kommentar Mietrecht II, N 30 zu Art. 256 OR), d.h. auch für die
entsprechende Beweislastverteilung gelten muss.
Im Übrigen ist höchst
unwahrscheinlich, dass die Mieter vor Vertragsunterzeichnung die
vorformulierten Vertragsbestimmungen alle lesen und in ihrer Tragweite
erfassen. Sie können sich deshalb auch auf die Ungewöhnlichkeitsregel
berufen, da die Beweislastumkehr in Ziff. 9.1 des Mietvertrags der
Parteien derart aus dem zu erwartenden Rahmen fällt, dass sie damit nach
Treu und Glauben nicht rechnen mussten (Guhl/Koller, Das Schweizerische
Obligationenrecht, 9. Aufl., Zürich 2000, S. 117 mit Hinweisen).
Im
vorliegenden Fall wurde kein Antrittsprotokoll erstellt. Die Klägerin
vermag deshalb nicht zu beweisen, dass die von ihr im
Abnahme–/Übergabeprotokoll beanstandeten übermässigen Abnützungen der
Wohnungswände nicht bereits bei Mietantritt durch die Beklagten
bestanden. [...]
Décision
40/3 - Beweislastverteilung