Anfechtung des Anfangsmietzinses

Base légale

Nom du tribunal

Zwischenentscheid des Kantonsgerichts des Kantons Zug

Date

12.03.2013

Résumé

Sind Wohn- und Geschäftsräume knapp, dann genügt dieses Kriterium für sich alleine, um eine Anfechtung des Anfangsmietzinses gemäss Artikel 270 Absatz 1 OR zu ermöglichen. Für den Nachweis eines Mangels an Wohn- und Geschäftsräumen auf dem örtlichen Markt ist es ausreichend, wenn eine amtlich bzw. statistisch festgestellte Mangelsituation besteht. Die Mieterschaft hat den Nachweis zu erbringen, dass für den Wohnungswechsel gute Gründe vorhanden waren und ein Verzicht auf den Umzug nicht vernünftig gewesen wäre.

Exposé des faits

Die Beklagte und die Kläger schlossen am 21./27. Juni 2011 einen Mietvertrag betreffend eine 4,5-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss einer Liegenschaft ab. Mietbeginn war der 1. Oktober 2011. Die Kläger gingen die Verpflichtung zur Bezahlung eines monatlichen Nettomietzinses von Fr. 2800.– ein. Der monatliche Nettomietzins der Vormieterschaft hatte Fr. 2611.– betragen. Am 21. Juni 2011 wurde den Klägern von der Liegenschaftsverwaltung zusammen mit dem zur Unterzeichnung ausgefertigten Mietvertrag ein amtliches Formular übermittelt. Dieses enthielt die Mitteilung, dass der Nettomietzins von Fr. 2611.– auf Fr. 2800.– erhöht wird.
Am 24. Oktober 2011 reichten die Kläger ein Schlichtungsgesuch ein. Sie fochten innerhalb der 30-tägigen Frist seit Übernahme des Mietobjekts gemäss Art. 270 Abs. 1 OR den Anfangsmietzins bei der zuständigen Schlichtungsbehörde als missbräuchlich an. Anlässlich der Schlichtungsverhandlung vom 7. Dezember 2011 schlossen die Parteien einen Vergleich enthaltend einen Widerrufsvorbehalt ab. Die Kläger haben den Vergleich innert Frist widerrufen. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 erteilte die Schlichtungsbehörde den Klägern die Klagebewilligung.
Die Kläger reichten am 2. Februar 2012 eine Klage im vereinfachten Verfahren ein. Sie stellten den Antrag, dass die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses der von ihnen gemieteten Wohnung festzustellen sei, und der monatliche Nettomietzins von Fr. 2800.– auf das zulässige Mass zu senken sei. Die Kläger hielten an der Hauptverhandlung vom 26. März 2012 an ihrem Klageantrag fest und begründeten denselben. Die Beklagte bestritt namentlich, dass die Voraussetzungen zur Anfechtung des Anfangsmietzinses erfüllt seien. Die Standpunkte wurden im zweiten Parteivortrag von beiden Parteien bekräftigt.
Am 28. August 2012 erfolgte eine persönliche Befragung der Kläger. Den Parteien wurde mit Schreiben vom 18. September 2012 durch den Einzelrichter mitgeteilt, dass die Fragestellung, ob die Klagevoraussetzungen entsprechend Artikel 270 Absatz 1 OR erfüllt seien, Gegenstand eines Zwischenentscheides gemäss Artikel 237 ZPO bilden werde.
Die Parteien verzichteten auf eine mündliche Schlussverhandlung und reichten am 12. und am 26. November 2012 jeweils einen schriftlichen Schlusssatz ein. Der Schriftsatz vom 10. Dezember 2012 enthielt eine Stellungnahme der Kläger zu den neuen Vorbringen der Beklagten vom 12. November 2012.

Considérations

4. Von den drei in Art. 270 Abs. 1 OR genannten Voraussetzungen zur Anfechtung des Anfangsmietzinses muss der Rechtsprechung des Bundesgerichts zufolge und in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der erwähnten Bestimmung lediglich eine Voraussetzung erfüllt sein und vom Mieter bewiesen werden. Die Knappheit an Wohnungen oder Geschäftsräumen auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume führt daher für sich alleine zur Möglichkeit der Anfechtung des Anfangsmietzinses ohne Rücksicht darauf, ob der Mieter eine persönliche oder familiäre bzw. betriebliche Notlage beim Abschluss des Mietvertrages nachzuweisen vermag (BGE 136 III 82 = Pra 2010, Nr. 98, S. 682, E. 2; BGE 4C.367/2001 E. 3a). Teile der Lehre und der kantonalen Rechtsprechung verlangen zwar vom Mieter zusätzlich den Nachweis von konkreten Suchbemühungen und berücksichtigen daneben seine persönliche Situation und sein Einkommen. Die Kläger weisen indes zu Recht darauf hin, dass das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mieters im Widerspruch zum blossen Verweis des Gesetzes auf die Marktlage stehe und dazu führen würde, dass auch offensichtlich missbräuchliche Anfangsmieten keiner Überprüfung zugänglich wären. Das Bundesgericht gesteht eine Zwangssituation auch demjenigen zu, der an sich in der Lage ist, das von ihm geforderte Übermass zu bezahlen (BGE 123 II 292 E. 5). Für den Nachweis des Mangels an Wohn- und Geschäftsräumen auf dem örtlichen Markt genügt es sodann, dass eine amtlich bzw. statistisch festgestellte Mangelsituation vorliegt. Die im Nachhinein oftmals schwer nachweisbaren konkreten Suchbemühungen des Mieters können in diesem Fall vernachlässigt werden. Die gegenteilige Auffassung lässt unbeachtet oder berücksichtigt zu wenig, dass zwischen den konkreten Schwierigkeiten eines Mieters bei der Suche nach für ihn geeignetem Wohnraum und der mittels einer detaillierten Statistik erhobenen Wohnungsleerstandziffer ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
Schreiben die Behörden eines Kantons für die Festsetzung des Anfangsmietzinses die Verwendung eines amtlichen Formulars im Sinne von Art. 270 Abs. 2 OR vor, kann regelmässig von einer amtlich festgestellten Mangelsituation ausgegangen werden. Allerdings ist die Aktualität der zugrunde liegenden kantonalen Erhebungen im Anfechtungsverfahren zu überprüfen. In einem Fall betreffend den Kanton Genf hat das Bundesgericht die Schwierigkeit der Verhältnisse auf dem lokalen Wohnungsmarkt in Anbetracht der Beschlüsse des Staatsrats zur Feststellung des Wohnungsmangels als erwiesen betrachtet, weil in diesen Beschlüssen für den gesamten Kanton die Wohnungskategorien nach Anzahl der Zimmer aufgeführt wurden und die Gültigkeit der Beschlüsse jeweils auf ein Jahr befristet ist, um der Entwicklung der Wirtschaftslage und den möglicherweise eintretenden Änderungen in der Feststellung der Wohnungsknappheit Rechnung zu tragen (BGE 4C.367/2001 E. 3). In einem anderen Fall betreffend den Kanton bzw. die Stadt Freiburg hat das Bundesgericht die statistischen Quellen für die Feststellung der Wohnungsknappheit hingegen als unzureichend erachtet. Es bemängelte, dass die vom Staatsrat des Kantons Freiburg bereits im Jahr 2002 erlassene Verordnung, worin per 1. Januar 2002 ein Leerwohnungsbestand von 1,28% angenommen und gestützt darauf die Verwendung des amtlichen Formulars zur Feststellung des Anfangsmietzinses für obligatorisch erklärt wurde, nicht jährlich erneuert werde und die darin erfolgte Feststellung des Wohnungsmangels auf einer Statistik beruhe, die den Leerwohnungsbestand anerkanntermassen nicht nach Wohnungskategorien aufgliedere. Zudem beschränke sich die Studie auf eine Gesamteinschätzung der kantonalen Verhältnisse. In einem grossflächigen Kanton wie dem Kanton Freiburg erscheine es jedoch notwendig, zwischen den verschiedenen Regionen des Kantons zu unterscheiden, die in Bezug auf den Leerwohnungsbestand erhebliche Diskrepanzen aufweisen könnten (BGE 136 III 82 = Pra 2010, Nr. 98, S. 682, E. 2). Aus dieser Rechtsprechung ist zu schliessen, dass die Mangelsituation auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume nach Art. 270 Abs. 1 lit. a OR immer dann als ausgewiesen gelten kann, wenn die Einführung oder Aufrechterhaltung der Formularpflicht gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung auf einer genügend präzisen, hinsichtlich Wohnungsgrösse und Region differenzierten und aktuellen statistischen Grundlage beruht.
Darüber hinaus muss der Mieter nur, aber immerhin nachweisen, dass er gute Gründe für einen Wohnungswechsel hatte und ein Verzicht seinerseits auf den Umzug unvernünftig gewesen wäre (BGE 136 III 82 = Pra 2010, Nr. 98, S. 682, E. 2). Was solche guten Gründe sind, hatte das Bundesgericht im letztgenannten Entscheid nicht zu prüfen. Unter dem Aspekt einer wirkungsvollen Bekämpfung missbräuchlicher Mietzinse rechtfertigt es sich jedoch nicht, hier einen allzu strengen Massstab anzulegen. Würde man vom Mieter geradezu zwingende Gründe für den Wohnungswechsel verlangen, also wie die Beklagte „Notwendigkeit“ oder „Dringlichkeit“ vorauszusetzen, käme es zu Überschneidungen mit dem Tatbestand der persönlichen, familiären oder betrieblichen Notlage, welche auch ohne Mangelsituation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt die Anfechtbarkeit des Anfangsmietzinses begründet. Es reicht aus, wenn die Gründe für den Umzug nachvollziehbar sind und auch für jeden Dritten in der gleichen Lage Anlass für einen Wohnungswechsel hätten sein können, ohne dass die Unzumutbarkeit des Verbleibs in der bisherigen Wohnung erforderlich wäre.


5.3 Demnach liegt für den hier interessierenden Zeitpunkt Juni 2011 eine amtliche festgestellte Wohnungsnot vor, welche den ganzen Kanton Zug, die Stadt Zug und die Gemeinde X und dort namentlich auch 4- und 4.5-Zimmer-Wohnungen, auf welche die Kläger ihre Suche konzentriert haben, gleichermassen betroffen hat. Die statistischen Erhebungen des Amtes für Wohnungswesen erfüllen die bundesgerichtlichen Anforderungen. Sie sind aktuell, werden sogar halbjährlich aktualisiert und sowohl regional als auch nach Wohnungsgrösse differenziert, obwohl es sich beim Kanton Zug um einen kleinflächigen Kanton mit homogenen Verhältnissen handelt und von Gemeinde zu Gemeinde keine erheblichen Diskrepanzen bei der Leerstandquote auszumachen sind. Die von der Beklagten geübte Kritik, wonach die Erhebungen des Amtes für Wohnungswesen zu wenig breit abgestützt seien, ist gänzlich unbelegt. Das Amt für Wohnungswesen bezieht seine Angaben zum Leerwohnungsbestand von den Gemeinden, die sich bei der Erhebung des Leerwohnungsbestandes ihrerseits an die Vorgaben des Bundesamts für Statistik zu halten und verschiedene Quellen zu nutzen haben. Zu berücksichtigen ist zwar, dass nicht alle leer stehenden Wohnungen in die Statistik Eingang finden, sondern einzig die zur dauernden Vermietung (mindestens für drei Monate) oder zum Verkauf ausgeschrieben. Das ist insofern logisch, als Wohnungen, die nicht auf den Markt gelangen, weil es sich dabei zum Beispiel um Abbruchobjekt handelt oder andere Gründe für deren Nichtgebrauch bestehen, ausser Wertung bleiben müssen. Diese können naturgemäss nicht zur Entschärfung der Wohnungsknappheit beitragen.


6. …
Die von den Klägern geschilderten Gründe für den Wohnungswechsel sind durchaus nachvollziehbar. Aus der Befragung der Kläger ergibt sich, dass es ihnen schon seit längerer Zeit ein Anliegen war, näher bei ihrem Arbeitsplatz zu wohnen, um damit ihren Arbeitsweg zu verkürzen und, im Falle der Klägerin 1, ihre Arbeitspausen zuhause verbringen zu können. Dieses Anliegen ist verständlich, auch wenn eine Arbeitswegzeit von täglich 40 bis 50 Minuten (Hin- und Rückfahrt) keinesfalls als unüblich angesehen werden kann. Ohne den von Kindern verursachten Umgebungslärm in ihrem vorherigen Wohnquartier in M wäre das Bedürfnis für einen Umzug möglicherweise weniger akut gewesen. Doch der Wunsch nach einer ruhigen Umgebung ist für sich ein weiterer guter Grund für einen Wohnungswechsel. Da sich die Kläger wegen der für sie aufgrund des Umgebungslärms unbefriedigend gewordenen Wohnsituation so oder anders nach einer neuen Wohnung umgeschaut haben, lag es für sie auf der Hand, in ihrer bevorzugten Destination X oder Y eine Wohnung zu suchen, um gleich auch den Arbeitsweg zu optimieren und dadurch Zeit und Kosten zu sparen. Weil sie zudem von den vormaligen Mietern davon erfahren haben, dass die streitgegenständliche Wohnung der Beklagten frei würde, bevor sie zur Vermietung ausgeschrieben wurde, und sich die Kläger auf diese Weise grössere Chancen ausrechnen durften, den Zuschlag zu erhalten, wäre ein Verzicht auf den Vertragsabschluss mit der Beklagten unvernünftig gewesen. Ein Dritter in der gleichen Lage und mit den gleichen Vorstellungen wie die Kläger hätte sich wohl ebenfalls für einen Vertragsabschluss mit der Beklagten entschieden. Dabei mögen steuerliche Überlegungen ebenfalls eine Rolle gespielt haben, was aber an der Gesamteinschätzung, dass die Kläger andere, schützenswertere gute Gründe für ihren Umzug nach Y hatten, nichts zu ändern vermag. Eine eigentliche Notsituation muss nach dem in Erwägung 4 Gesagten nicht vorgelegen haben; ebenso wenig können Umstände gefordert werden, welche den Umzug nach Y für die Kläger zwingend gemacht hätten.


Décision

54/9 - Anfechtung des Anfangsmietzinses

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