Zwischenentscheid des Kantonsgerichts des Kantons Zug
12.03.2013
Sind Wohn- und Geschäftsräume knapp, dann genügt dieses Kriterium für sich alleine, um eine Anfechtung des Anfangsmietzinses gemäss Artikel 270 Absatz 1 OR zu ermöglichen. Für den Nachweis eines Mangels an Wohn- und Geschäftsräumen auf dem örtlichen Markt ist es ausreichend, wenn eine amtlich bzw. statistisch festgestellte Mangelsituation besteht. Die Mieterschaft hat den Nachweis zu erbringen, dass für den Wohnungswechsel gute Gründe vorhanden waren und ein Verzicht auf den Umzug nicht vernünftig gewesen wäre.
4. Von den drei in Art. 270 Abs. 1 OR genannten Voraussetzungen zur
Anfechtung des Anfangsmietzinses muss der Rechtsprechung des
Bundesgerichts zufolge und in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der
erwähnten Bestimmung lediglich eine Voraussetzung erfüllt sein und vom
Mieter bewiesen werden. Die Knappheit an Wohnungen oder Geschäftsräumen
auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume führt daher für
sich alleine zur Möglichkeit der Anfechtung des Anfangsmietzinses ohne
Rücksicht darauf, ob der Mieter eine persönliche oder familiäre bzw.
betriebliche Notlage beim Abschluss des Mietvertrages nachzuweisen
vermag (BGE 136 III 82 = Pra 2010, Nr. 98, S. 682, E. 2; BGE 4C.367/2001
E. 3a). Teile der Lehre und der kantonalen Rechtsprechung verlangen
zwar vom Mieter zusätzlich den Nachweis von konkreten Suchbemühungen und
berücksichtigen daneben seine persönliche Situation und sein Einkommen.
Die Kläger weisen indes zu Recht darauf hin, dass das Kriterium der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mieters im Widerspruch zum
blossen Verweis des Gesetzes auf die Marktlage stehe und dazu führen
würde, dass auch offensichtlich missbräuchliche Anfangsmieten keiner
Überprüfung zugänglich wären. Das Bundesgericht gesteht eine
Zwangssituation auch demjenigen zu, der an sich in der Lage ist, das von
ihm geforderte Übermass zu bezahlen (BGE 123 II 292 E. 5). Für den
Nachweis des Mangels an Wohn- und Geschäftsräumen auf dem örtlichen
Markt genügt es sodann, dass eine amtlich bzw. statistisch festgestellte
Mangelsituation vorliegt. Die im Nachhinein oftmals schwer
nachweisbaren konkreten Suchbemühungen des Mieters können in diesem Fall
vernachlässigt werden. Die gegenteilige Auffassung lässt unbeachtet
oder berücksichtigt zu wenig, dass zwischen den konkreten
Schwierigkeiten eines Mieters bei der Suche nach für ihn geeignetem
Wohnraum und der mittels einer detaillierten Statistik erhobenen
Wohnungsleerstandziffer ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
Schreiben
die Behörden eines Kantons für die Festsetzung des Anfangsmietzinses
die Verwendung eines amtlichen Formulars im Sinne von Art. 270 Abs. 2 OR
vor, kann regelmässig von einer amtlich festgestellten Mangelsituation
ausgegangen werden. Allerdings ist die Aktualität der zugrunde liegenden
kantonalen Erhebungen im Anfechtungsverfahren zu überprüfen. In einem
Fall betreffend den Kanton Genf hat das Bundesgericht die Schwierigkeit
der Verhältnisse auf dem lokalen Wohnungsmarkt in Anbetracht der
Beschlüsse des Staatsrats zur Feststellung des Wohnungsmangels als
erwiesen betrachtet, weil in diesen Beschlüssen für den gesamten Kanton
die Wohnungskategorien nach Anzahl der Zimmer aufgeführt wurden und die
Gültigkeit der Beschlüsse jeweils auf ein Jahr befristet ist, um der
Entwicklung der Wirtschaftslage und den möglicherweise eintretenden
Änderungen in der Feststellung der Wohnungsknappheit Rechnung zu tragen
(BGE 4C.367/2001 E. 3). In einem anderen Fall betreffend den Kanton bzw.
die Stadt Freiburg hat das Bundesgericht die statistischen Quellen für
die Feststellung der Wohnungsknappheit hingegen als unzureichend
erachtet. Es bemängelte, dass die vom Staatsrat des Kantons Freiburg
bereits im Jahr 2002 erlassene Verordnung, worin per 1. Januar 2002 ein
Leerwohnungsbestand von 1,28% angenommen und gestützt darauf die
Verwendung des amtlichen Formulars zur Feststellung des
Anfangsmietzinses für obligatorisch erklärt wurde, nicht jährlich
erneuert werde und die darin erfolgte Feststellung des Wohnungsmangels
auf einer Statistik beruhe, die den Leerwohnungsbestand
anerkanntermassen nicht nach Wohnungskategorien aufgliedere. Zudem
beschränke sich die Studie auf eine Gesamteinschätzung der kantonalen
Verhältnisse. In einem grossflächigen Kanton wie dem Kanton Freiburg
erscheine es jedoch notwendig, zwischen den verschiedenen Regionen des
Kantons zu unterscheiden, die in Bezug auf den Leerwohnungsbestand
erhebliche Diskrepanzen aufweisen könnten (BGE 136 III 82 = Pra 2010,
Nr. 98, S. 682, E. 2). Aus dieser Rechtsprechung ist zu schliessen, dass
die Mangelsituation auf dem örtlichen Markt für Wohn- und
Geschäftsräume nach Art. 270 Abs. 1 lit. a OR immer dann als ausgewiesen
gelten kann, wenn die Einführung oder Aufrechterhaltung der
Formularpflicht gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung auf einer genügend
präzisen, hinsichtlich Wohnungsgrösse und Region differenzierten und
aktuellen statistischen Grundlage beruht.
Darüber hinaus muss der
Mieter nur, aber immerhin nachweisen, dass er gute Gründe für einen
Wohnungswechsel hatte und ein Verzicht seinerseits auf den Umzug
unvernünftig gewesen wäre (BGE 136 III 82 = Pra 2010, Nr. 98, S. 682, E.
2). Was solche guten Gründe sind, hatte das Bundesgericht im
letztgenannten Entscheid nicht zu prüfen. Unter dem Aspekt einer
wirkungsvollen Bekämpfung missbräuchlicher Mietzinse rechtfertigt es
sich jedoch nicht, hier einen allzu strengen Massstab anzulegen. Würde
man vom Mieter geradezu zwingende Gründe für den Wohnungswechsel
verlangen, also wie die Beklagte „Notwendigkeit“ oder „Dringlichkeit“
vorauszusetzen, käme es zu Überschneidungen mit dem Tatbestand der
persönlichen, familiären oder betrieblichen Notlage, welche auch ohne
Mangelsituation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt die Anfechtbarkeit des
Anfangsmietzinses begründet. Es reicht aus, wenn die Gründe für den
Umzug nachvollziehbar sind und auch für jeden Dritten in der gleichen
Lage Anlass für einen Wohnungswechsel hätten sein können, ohne dass die
Unzumutbarkeit des Verbleibs in der bisherigen Wohnung erforderlich
wäre.
…
5.3 Demnach liegt für den hier interessierenden Zeitpunkt Juni
2011 eine amtliche festgestellte Wohnungsnot vor, welche den ganzen
Kanton Zug, die Stadt Zug und die Gemeinde X und dort namentlich auch 4-
und 4.5-Zimmer-Wohnungen, auf welche die Kläger ihre Suche konzentriert
haben, gleichermassen betroffen hat. Die statistischen Erhebungen des
Amtes für Wohnungswesen erfüllen die bundesgerichtlichen Anforderungen.
Sie sind aktuell, werden sogar halbjährlich aktualisiert und sowohl
regional als auch nach Wohnungsgrösse differenziert, obwohl es sich beim
Kanton Zug um einen kleinflächigen Kanton mit homogenen Verhältnissen
handelt und von Gemeinde zu Gemeinde keine erheblichen Diskrepanzen bei
der Leerstandquote auszumachen sind. Die von der Beklagten geübte
Kritik, wonach die Erhebungen des Amtes für Wohnungswesen zu wenig breit
abgestützt seien, ist gänzlich unbelegt. Das Amt für Wohnungswesen
bezieht seine Angaben zum Leerwohnungsbestand von den Gemeinden, die
sich bei der Erhebung des Leerwohnungsbestandes ihrerseits an die
Vorgaben des Bundesamts für Statistik zu halten und verschiedene Quellen
zu nutzen haben. Zu berücksichtigen ist zwar, dass nicht alle leer
stehenden Wohnungen in die Statistik Eingang finden, sondern einzig die
zur dauernden Vermietung (mindestens für drei Monate) oder zum Verkauf
ausgeschrieben. Das ist insofern logisch, als Wohnungen, die nicht auf
den Markt gelangen, weil es sich dabei zum Beispiel um Abbruchobjekt
handelt oder andere Gründe für deren Nichtgebrauch bestehen, ausser
Wertung bleiben müssen. Diese können naturgemäss nicht zur Entschärfung
der Wohnungsknappheit beitragen.
…
6. …
Die von den Klägern geschilderten Gründe für den
Wohnungswechsel sind durchaus nachvollziehbar. Aus der Befragung der
Kläger ergibt sich, dass es ihnen schon seit längerer Zeit ein Anliegen
war, näher bei ihrem Arbeitsplatz zu wohnen, um damit ihren Arbeitsweg
zu verkürzen und, im Falle der Klägerin 1, ihre Arbeitspausen zuhause
verbringen zu können. Dieses Anliegen ist verständlich, auch wenn eine
Arbeitswegzeit von täglich 40 bis 50 Minuten (Hin- und Rückfahrt)
keinesfalls als unüblich angesehen werden kann. Ohne den von Kindern
verursachten Umgebungslärm in ihrem vorherigen Wohnquartier in M wäre
das Bedürfnis für einen Umzug möglicherweise weniger akut gewesen. Doch
der Wunsch nach einer ruhigen Umgebung ist für sich ein weiterer guter
Grund für einen Wohnungswechsel. Da sich die Kläger wegen der für sie
aufgrund des Umgebungslärms unbefriedigend gewordenen Wohnsituation so
oder anders nach einer neuen Wohnung umgeschaut haben, lag es für sie
auf der Hand, in ihrer bevorzugten Destination X oder Y eine Wohnung zu
suchen, um gleich auch den Arbeitsweg zu optimieren und dadurch Zeit und
Kosten zu sparen. Weil sie zudem von den vormaligen Mietern davon
erfahren haben, dass die streitgegenständliche Wohnung der Beklagten
frei würde, bevor sie zur Vermietung ausgeschrieben wurde, und sich die
Kläger auf diese Weise grössere Chancen ausrechnen durften, den Zuschlag
zu erhalten, wäre ein Verzicht auf den Vertragsabschluss mit der
Beklagten unvernünftig gewesen. Ein Dritter in der gleichen Lage und mit
den gleichen Vorstellungen wie die Kläger hätte sich wohl ebenfalls für
einen Vertragsabschluss mit der Beklagten entschieden. Dabei mögen
steuerliche Überlegungen ebenfalls eine Rolle gespielt haben, was aber
an der Gesamteinschätzung, dass die Kläger andere, schützenswertere gute
Gründe für ihren Umzug nach Y hatten, nichts zu ändern vermag. Eine
eigentliche Notsituation muss nach dem in Erwägung 4 Gesagten nicht
vorgelegen haben; ebenso wenig können Umstände gefordert werden, welche
den Umzug nach Y für die Kläger zwingend gemacht hätten.