Vertretung nur möglich, wenn vertretene Person Partei ist
Artikel
- Art. 70 Abs. 1 OR
- Art. 259a ff. OR
- Art. 166 ZGB
Name des Gerichts
Entscheid des Einzelrichters des Bezirksgerichts Kreuzlingen (B.2019.51 E §-2020-140)
Datum
23.10.2020
Zusammenfassung
Welche Rechte mehreren Mietenden aus dem Mietvertrag zustehen und wie diese geltend zu machen sind, hängt von der Natur des Anspruchs und der Art der Gemeinschaft der Mietenden ab. Selbst wenn die Mietenden verheiratet sind, ist eine Vertretung nur dann möglich, wenn die vertretene Person Partei am fraglichen Verfahren ist. Eine Vertretung gemäss Artikel 166 ZGB greift in solchen Fällen nicht.
Sachverhalt
Seit dem 1. Juli 2010 mietete der Kläger (Mieter), zusammen mit seiner Frau, eine 41/2-Zimmerwohnung in K.. Im Laufe des Mietverhältnisses informierten der Kläger und seine Ehefrau die Vermieterin (Beklagte) mehrfach, dass sich kleine Partikel des Verputzes an den Wänden und Decken der Wohnung lösten und ersuchten um eine Lösung zur Verbesserung dieses Umstandes.
Da keine Lösung gefunden werden konnte, leitete der Kläger bei der Schlichtungsbehörde in Mietsachen Klage ein. Hierbei machte er einen Baumangel geltend und verlangte einen Schadenersatz von Fr. 13 000.00 (Putzaufwand seiner nicht anderweitig arbeitstätigen Ehefrau à Fr. 25.00 pro Stunde für den Zeitraum der letzten fünf Jahre vor der Schlichtungsverhandlung).
Nach erfolglosem Einigungsversuch vor der Schlichtungsstelle erhob der Mieter (alleine, ohne seine Ehefrau) am 29. Oktober 2019 Klage beim Bezirksgericht.
Aus den Erwägungen
2. Gemeinsame Miete (Aktivlegitimation)
Im vorliegeden Fall ist zu beachten, dass der Mietvertrag nicht nur vom Kläger selber, sondern auch von dessen Ehefrau unterzeichnet worden ist.
In welcher Form die Rechte mehreren Mietern aus dem Mietvertrag zustehen und wie sie diese geltend zu machen haben, hängt einerseits von der Natur des Anspruchs (z.B. Übertragung der Mietsache, Gestaltungsrechte, Besitzesschutzrechte) und andererseits von der Art der Gemeinschaft ab, welche die Mieter untereinander bilden. Die Übertragung der Mietsache sowie deren Unterhalt stellen unteilbare Sachleistungen des Vermieters dar, welche die Mieter gestützt auf Art. 70 Abs. 1 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR; SR 220) zu fordern berechtigt sind, sofern die Regeln, welche ihr Gemeinschaftsverhältnis bestimmen Art. 70 Abs. 1 OR nicht vorangehen. Mehrere Mieter sind Mitbesitzer des Mietobjekts, soweit der einzelne die tatsächliche Verfügungsmacht darüber hat. Demgemäss steht jedem der mehreren Mieter der Besitzesschutz Dritten gegenüber zu, gegenüber dem Vermieter nach Massgabe des Gemeinschaftsverhältnisses. Die Ausübung von Gestaltungsrechten durch mehrere Mieter richtet sich nach den Regeln des Innenverhältnisses, gegenüber der Vermieterschaft nach den Grundsätzen der Stellvertretung und des Vertrauensschutzes. Kündigungen der Mieter sind von allen Mietern an alle vermieterseitigen Vertragspartner zu richten (Zk-Higi/Bühlmann, Vorb. Art. 253 - 273c OR, RZ 121 ff.). Nach Mietantritt stehen den Mietern bei Mängeln, die der Vermieter zu vertreten hat, die Rechte aus Art. 259a ff. OR zu. Die Rechtslage ist zu unterscheiden je nach Art der Rechte, die ausgeübt werden sollen. Wird die Beseitigung des Mangels verlangt (Art. 259b OR) besteht darin die Geltendmachung der Vertragserfüllung (Realerfüllung), was angesichts der vom Vermieter geschuldeten unteilbaren Leistung (Art. 70 Abs. 1 OR) jeder Mieter – durch Begehren um Erfüllung gegenüber allen Mietern – fordern darf. Bei der Herabsetzung des Mietzinses (Art. 259d OR) und der fristlosen Kündigung (Art. 259b lit. a OR) geht es jedoch um unteilbare, den Vertrag insgesamt beschlagende Gestaltungsrechte, die nur gemeinsam oder über einen gemeinsamen Vertreter ausgeübt werden können. Bei Schadenersatz (Art. 259e OR) ist Teilgläubigerschaft der mehreren Mieter anzunehmen (Jörg Schmid, Die gemeinsame Miete — ausgewählte Fragen, AJP 1/2016, S. 31 ff., S. 34). Bei der Teilgläubigerschaft sind mehrere Gläubiger unabhängig voneinander pro rata an einer teilbaren Forderung berechtigt, wobei die Leistung in ihrer Gesamtheit nur einmal zu erbringen ist. Hier kann jeder Gläubiger selbständig den ihm zustehenden Teil der Leistung verlangen und der Schuldner muss den entsprechenden Teil an jeden Gläubiger separat leisten. Die Teilforderungen bilden hier nur insoweit ein Ganzes (eine ganze Forderung), als sie aus dem gleichen Rechtsgrund entstanden sind. Das Bundesgericht weist in diesem Zusammenhang auf die Lehrmeinungen von Huguenin und Koller hin, welche in Anlehnung an § 420 des deutschen BGB davon ausgehen, dass wenn mehrere eine teilbare Leistung schulden oder mehrere eine teilbare Leistung fordern, im Zweifel jeder Schuldner nur zu einem gleichen Teil verpflichtet bzw. jeder Gläubiger nur zu einen gleichen Anteil berechtigt ist (BGer 4A_465/2013 vom 3. März 2014, E. 2.2.3.).
Wie oben ausgeführt, wurde der Mietvertrag sowohl vom Kläger als auch von dessen Ehefrau unterzeichnet. Nachdem vorliegend Schadenersatz im Sinne von Art. 259e OR geltend gemacht wird (Fr. 13 000.00 für Reinigungsarbeiten), sind der Kläger und dessen Ehefrau als Teilgläubiger zu betrachten. Das heisst, sie können zusammen die gesamte Forderung bzw. jeder alleine jeweils die Hälfte der Forderung geltend machen. Zwar lautet im vorliegenden Fall die Klagebewilligung auf beide Ehegatten, doch wurde sowohl das Schlichtungsgesuch für die Schlichtungsbehörde in Mietsachen als auch die anschliessend vor Bezirksgericht eingereichte Klage lediglich vom Kläger ausgefüllt und auch nur von ihm unterzeichnet. Dies führt dazu, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren lediglich die Hälfte der fraglichen Schadenersatzforderung geltend machen kann. Daran ändern im Übrigen auch die Ausführungen des Klägers anlässlich der Hauptverhandlung vom 25. August 2020 nichts, wonach er die Klage im Namen der Familie eingereicht habe und hier auch seine Ehefrau vertrete [...]. Eine Vertretung ist nur dann möglich, sofern eine Person überhaupt Partei am fraglichen Verfahren ist. Einer solchen Parteistellung fehlt es aber bereits, da die Klage allein im Namen des Klägers eingereicht und auch nur von ihm unterzeichnet worden ist. Selbst wenn die Ehefrau des Klägers als Partei bezeichnet werden könnte, so hätte der Kläger zum Nachweis der rechtsgenüglichen Vertretungsbefugnis eine von der Ehefrau unterzeichnete Vollmacht einreichen müssen, was vorliegend nicht der Fall ist. Auch eine Vertretung des Ehegatten gestützt auf Art. 166 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB; SR 210) ist nicht möglich, da es sich in casu weder um laufende Bedürfnisse handelt, noch eine Ermächtigung seitens des Gerichts bzw. dringende Geschäfte vorliegen. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Ehefrau des Klägers nicht Partei des vorliegenden Verfahrens ist und der Kläger als Teilgläubiger somit grundsätzlich nur die Hälfte der geltend gemachten Forderung einfordern kann.
Entscheid
61/3 - Vertretung nur möglich, wenn vertretene Person Partei ist