Unzulässige gerichtsinterne Verfahrensüberweisung
Artikel
- Art. 63 ZPO
- Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO
Name des Gerichts
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (Nr. BEZ.2020.38)
Datum
10.11.2020
Zusammenfassung
Stellt sich die Klägerin insbesondere im erstinstanzlichen Zivilverfahren auf den Standpunkt, dass die Mietstreitigkeit im einfachen Verfahren vom entsprechend zuständigen Spruchkörper (z.B. Einzelgericht) zu beurteilen ist, hat sich dieser Spruchkörper bei Nichterfüllung der Prozessvoraussetzungen auf einen Nichteintretensentscheid zu beschränken. Er darf den Fall unter diesen Umständen nicht von Amtes wegen in das ordentliche Verfahren und an einen anderen gerichtsinternen Spruchkörper (z.B. Kammer) überweisen.
Sachverhalt
A. (Mieterin) mietete von B. (Vermieterin) seit den 90er Jahren insgesamt drei Wasserflächen für die Erstellung und den Betrieb von Bootsliegeplätzen. Im Zuge der mieterseitigen Vertragsverlängerung (Option) verlangte die Vermieterin eine Anpassung des jährlichen Mietzinses von bisher 23 930 auf neu 143 255 Franken, was die Mieterin ablehnte.
Nach erfolglosem Einigungsversuch vor der Schlichtungsstelle erhob die Mieterin am 14. Januar 2019 Klage beim Mietgericht (Einzelgericht). Im Anschluss an eine Sistierung und gescheiterte Instruktionsverhandlung überwies die Zivilgerichtspräsidentin das Verfahren mittels Verfügung an einen anderen Spruchkörper, die Kammer des Zivilgerichts. Begründet wurde diese gerichtsinterne Überweisung mit dem Umstand, dass es sich beim Mietobjekt (Wasserflächen) nicht um einen Geschäftsraum im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO handle, das vereinfachte Verfahren deshalb nicht anwendbar und das Mietgericht sachlich nicht zuständig sei.
Gegen diese Verfügung erhob die Mieterin am 10. Juli 2020 Beschwerde beim Appellationsgericht und beantragte deren Aufhebung bzw. die Rückweisung des Falls an das Mietgericht (Einzelgericht) zur materiellen Beurteilung.
Aus den Erwägungen
2. Verfahrensüberweisung durch das Mietgericht
Die ZPO geht vom Grundsatz aus, dass es der klagenden Partei obliegt, ihre Klage beim zuständigen Gericht und in der richtigen Verfahrensart anhängig zu machen, und dass entsprechende Mängel das Nichteintreten auf die Klage zur Folge haben. Eine Überweisung des Verfahrens vom Amtes wegen ist in der ZPO hingegen nicht vorgesehen (BGer 4A_332/2015 vom 10. Februar 2016 E. 4.2 mit Hinweisen). In der Lehre wird teilweise die Ansicht vertreten, dass bei Einreichung einer Eingabe bei einem sachlich unzuständigen Spruchkörper des gleichen Gerichts die Eingabe intern an die zuständige Instanz weitergeleitet werden müsse (Staehelin/Staehelin/Grolimund, a.a.O. [Zivilprozessrecht, 3. Auflage 2019], § 12 N 5; Berger-Steiner, in: Berner Kommentar, 2012, Art. 63 ZPO N 22 ff.). Das Bundesgericht hat die Frage offengelassen, ob eine solche (interne) Weiterleitungspflicht an den nach kantonalem Recht sachlich zuständigen Spruchkörper und/oder in das richtige Verfahren geboten ist, wenn die Partei die Eingabe versehentlich an den falschen Spruchkörper adressiert und/oder die falsche Verfahrensart angegeben hat. Ein solches Vorgehen ist nach Ansicht des Bundesgerichts jedenfalls dann nicht angebracht, wenn feststeht, dass die klagende Partei ihre Klage gerade durch den angerufenen Spruchkörper und in der von ihr gewählten Verfahrensart beurteilt haben möchte. In diesem Fall hat auch dieser Spruchkörper über die Zulässigkeit der Klage im entsprechenden Verfahren zu entscheiden. Kommt der angerufene Spruchkörper zum Schluss, dass die Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen, trägt es der zivilprozessualen Dispositionsbefugnis der klagenden Partei Rechnung, wenn auf ihre Klage nicht eingetreten und ihr damit die Wahl gelassen wird, ihr Begehren – unter den Voraussetzungen von Art. 63 ZPO in Wahrung der Rechtshängigkeit (vgl. hierzu BGE 138 III 471 E. 6 S. 481-483) – bei der zuständigen Behörde und im richtigen Verfahren neu einzureichen oder nicht. Denn mit Blick auf die unterschiedliche Ausgestaltung des vereinfachten Verfahrens im Vergleich zum ordentlichen Verfahren, namentlich in Bezug auf die materielle Prozessleitung und die Prozesskosten, kann die klagende Partei ein legitimes Interesse daran haben, eine Beurteilung ihrer Begehren im vereinfachte Verfahren anzustreben, die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens hingegen abzulehnen (vgl. zum Ganzen BGer 4A_332/2015 vom 10. Februar 2016 E. 4.4.2).
Im vorliegenden Fall stellte sich die Mieterin im zivilgerichtlichen Verfahren wie auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren auf den Standpunkt, die vorliegende Streitigkeit falle gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO unter das vereinfachte Verfahren und folglich (unabhängig vom Streitwert) in die Zuständigkeit des Mietgerichts. Unter diesen Umständen kann von vornherein nicht gesagt werden, die Mieterin habe ihre Eingabe versehentlich an den falschen Spruchkörper adressiert und die falsche Verfahrensart bezeichnet. Eine interne Überweisung in das ordentliche Verfahren vor der Kammer des Zivilgerichts war somit unzulässig.
3. Entscheid
3.1 Aus diesen Erwägungen folgt, dass das Mietgericht das Verfahren zu Unrecht an die Kammer des Zivilgerichts überwies. Demgemäss ist die angefochtene Verfügung aufzuheben. Da sich aus den Akten des Mietgerichts nicht ergibt, ob sich die Parteien im zivilgerichtlichen Verfahren zur Frage der sachlichen Zuständigkeit bereits äussern konnten, ist ein diesbezüglicher Entscheid durch die Beschwerdeinstanz mangels Spruchreife nicht möglich. Somit kann dem Antrag der Mieterin, das Verfahren zur materiellen Beurteilung an das Mietgericht zurückzuweisen, nicht gefolgt werden. Vielmehr ist das Mietgericht anzuweisen, unter Gewährung des rechtlichen Gehörs der Parteien entweder einen Nichteintretensentscheid zu fällen oder die Klage materiell zu beurteilen.
Entscheid
61/9 - Unzulässige gerichtsinterne Verfahrensüberweisung